Endlich blühende Landschaften?
Relevante Vorhaben zum Vergaberecht aus dem Koalitionsvertrag
Die nunmehr beschlossenen vielen Milliarden Euro Sondervermögen können die Lage in Deutschland nur dann verbessern, wenn sie auch abgerufen und in sinnvollen Aufträgen verwendet werden. Das öffentliche Vergaberecht spielt hierbei eine zentrale Rolle. Es stellt sich die Frage, ob mit der 21. Legislaturperiode diesbezüglich nun alles besser wird.
Wir sind dieser Frage nachgegangen und haben dazu als ersten Anhaltspunkt den am 09.04.2025 zwischen CDU/CSU und SPD vereinbarten Koalitionsvertrag näher untersucht und die relevanten Abschnitte zum Vergaberecht und zur öffentlichen Beschaffung analysiert.
Unsere Einschätzung finden Sie am Ende dieses Beitrags.
Die künftige Bundesregierung plant umfassende Maßnahmen zur Beschleunigung und Modernisierung öffentlicher Investitionen. Zentrales Vorhaben ist das geplante Infrastruktur-Zukunftsgesetz, mit dem Investitionen aus dem Sondervermögen „Infrastruktur Bund/Länder/Kommunen“ schneller umgesetzt werden sollen. Infrastrukturprojekte sollen künftig rechtlich priorisiert und als „überragendes öffentliches Interesse“ eingestuft werden. Orientierung bieten bestehende Beschleunigungsgesetze und europäische Sonderregelungen.
Reformziele: Vereinfachung, Digitalisierung, Mittelstandsförderung
Im Bereich des Vergaberechts verfolgt der Koalitionsvertrag vor allem drei Ziele: Vereinfachung, Digitalisierung und eine stärkere Einbindung des Mittelstands. Zu den geplanten Maßnahmen zählen insbesondere:
- Anhebung von Wertgrenzen und Schwellenwerten
Die Wertgrenze für Direktaufträge bei Liefer- und Dienstleistungen soll auf Bundesebene von derzeit 3.000 EUR auf 50.000 EUR angehoben werden. Für Start-ups mit innovativen Leistungen soll ein Direktauftrag bis zu einem Auftragswert von 100.000 EUR möglich sein – sofern die Gründung nicht länger als vier Jahre zurückliegt. Auch auf europäischer Ebene setzt sich die Bundesregierung für eine Anhebung der EU-Schwellenwerte ein.
- Sektorale Ausnahmen vom Vergaberecht
Geplant sind gezielte Ausnahmen für sicherheitsrelevante Bereiche sowie für emissionsarme Leitmärkte – insbesondere in der Grundstoffindustrie. Auch für die Deutsche Bahn sollen solche sektoralen Sonderregelungen gelten.
- Strategisches Beschaffungsmanagement
Öffentliche Auftraggeber sollen verstärkt auf Rahmenverträge anderer Dienststellen sowie auf zentrale Einkaufsplattformen zugreifen können. Das „Kaufhaus des Bundes“ wird zum digitalen Marktplatz für Bund, Länder und Kommunen ausgebaut. Die zentrale Steuerung des IT-Einkaufs soll die Abhängigkeit von monopolartigen Anbietern verringern.
Für Unternehmen ist ein digitaler und möglichst bürokratiearmer Eignungsnachweis geplant – etwa durch Eigenerklärungen oder geprüfte Systeme.
- Rechtsschutz und Verfahrensbeschleunigung
Zur Beschleunigung von Vergabeverfahren soll die aufschiebende Wirkung von Beschwerden gegen Entscheidungen der Vergabekammern beim Übergang zum Oberlandesgericht entfallen.
- Stärkung der Tarifbindung
Mit dem geplanten Bundestariftreuegesetz soll die Tarifbindung im öffentlichen Auftragswesen gestärkt werden. Es soll bei Aufträgen ab 50.000 EUR greifen, bei Start-ups ab 100.000 EUR. Bürokratie und Nachweispflichten für mittelständische Unternehmen sollen reduziert werden.
- Registermodernisierung und Verwaltungsvereinfachung
Das sogenannte „Once-Only“-Prinzip sieht vor, dass Daten nur noch einmal an staatliche Stellen übermittelt werden müssen. Verwaltungsleistungen – etwa in den Bereichen Personal, IT oder Beschaffung – sollen in zentralen Serviceeinheiten gebündelt werden, um Effizienz zu steigern und Doppelstrukturen abzubauen.
- Verteidigungsbeschaffung
Ein eigenständiges Planungs- und Beschaffungsbeschleunigungsgesetz für die Bundeswehr sowie ein Bundeswehrinfrastrukturbeschleunigungsgesetz sind vorgesehen. Diese sollen Ausnahmen im Bau-, Umwelt- und Vergaberecht ermöglichen und Eigenvollzugsrechte erweitern. Zudem ist eine Beteiligung des Staates an sicherheitsrelevanten Unternehmen geplant, um strategische Interessen zu wahren.
Bewertung durch BHO Legal:
Der Koalitionsvertrag enthält sinnvolle Ansätze – dabei wird vieles bestärkt und hervorgehoben, was strukturell in den bestehenden Regelungen bereits angelegt ist. Dies macht Hoffnung, dass deren Umsetzung erst recht gelingen kann, wenn nun wiederholt von höchster Stelle eine klare Bekenntnis dazu erfolgt und deren rechtliche Umsetzung gar nicht so wesentlicher Änderungen bedarf. Wenn der bereits angelegte Wille zu Veränderung und Effizienz nun auch in den einzelnen Vergabestellen Widerhall findet und durch mutiges Vorgehen umgesetzt wird, können bereits diese klaren Bekenntnisse einen Ruck durch das öffentliche Vergabewesen bewirken..
Im Einzelnen positiv zu bewerten sind die geplanten Ausnahmen für Start-ups mit innovativen Leistungen, die bislang nur selten im Beschaffungsprozess berücksichtigt wurden. Hier sind Behörden gefragt, die neuen Spielräume tatsächlich zu nutzen.
Eigenerklärungen und Präqualifikationen sind bereits weit verbreitet – wirkliche Neuerungen sind in diesem Bereich nicht zu erwarten. Auch hier müssen Vergabestellen umfassenden Gebrauch von den bereits bestehenden Möglichkeiten machen. Die angekündigten sektoralen Ausnahmen sind bislang vage formuliert, eine konkrete Umsetzung bleibt abzuwarten. Aber die Ausgangsbasis ist geschaffen.
Der Wegfall der aufschiebenden Wirkung in Rechtsmittelverfahren hingegen ist ambivalent zu beurteilen: Für Auftraggeber entsteht mehr Planungssicherheit, für Bieter allerdings ein faktisch eingeschränkter Rechtsschutz. Schadensersatzregelungen könnten hier einen angemessenen Ausgleich schaffen.
Hervorzuheben ist der erkennbare Wille der Regierung, nationale und europäische Lösungen zu forcieren – insbesondere im Bereich der IT-Infrastruktur und sicherheitsrelevanten Beschaffung. Angesichts wachsender geopolitischer Spannungen erscheint dieser Fokus zeitgemäß und notwendig.
Ihre Expertenteam:
Dr. Oliver Heinrich, Gründungspartner und Rechtsanwalt
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Dr. Jan Helge Mey, Partner und Rechtsanwalt
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