Der Digital Markets Act: Regulierung im Digitalen
Der Digital Markets Act (DMA; deutscher Titel: „Digitale Märkte Gesetz“) soll der Regulierung besonders mächtiger digitaler Plattformen dienen. Das Gesetz enthält eine Reihe an Verhaltenspflichten für einige Bereiche der Digitalwirtschaft und ist Teil der Digitalstrategie der EU-Kommission.
Zusammen mit dem Digital Services Act hat die EU-Kommission im Dezember 2020 den Digital Markets Act vorgeschlagen. Im November 2022 ist die Verordnung bereits in Kraft getreten und gilt seit dem 2.5.2023 EU-weit. Am 14.4.2023 hat die EU-Kommission zudem eine Durchführungsverordnung erlassen, die Verfahrensaspekte der Verordnung konkretisiert. Die Verpflichtung, Verhaltensregeln nach dem Digital Markets Act einzuhalten, wird für sog. Gatekeeper voraussichtlich ab Frühjahr 2024 bestehen.
Regelungsziel des Digital Markets Act (DMA)
Ziel der EU-Verordnung ist es, die Digitalwirtschaft fairer zu gestalten und die Einflussmöglichkeiten von Gatekeepern einzudämmen. Nach allgemeinem Verständnis handelt es sich bei Gatekeepern um Unternehmen, die durch ihre machtvolle Stellung auf einem Markt den Zugang zu diesem für andere Akteurinnen und Akteure beeinflussen und wesentliche Bedingungen beherrschen können. Ab wann eine solche machtvolle Stellung und damit ein Gatekeeper im Sinne der neuen Verordnung vorliegt, gibt der Digital Markets Act anhand konkreter Parameter vor.
Grundannahme des Digital Markets Act ist, dass innerhalb der heutigen Digitalwirtschaft ein starkes Machtungleichgewicht herrscht. Übermächtige Gatekeeper und ihre Plattformen können nach Aussage des EU-Gesetzgebers durch ihre Marktmacht und die Abhängigkeit der Nutzerinnen und Nutzer einseitig Spielregeln setzen, sodass ausgleichende Effekte eines freien Marktes leerlaufen. Einzelne Unternehmen haben durch Nutzerkonzentrationen eine enorme Reichweite und erzielen damit de facto die Position von Infrastrukturanbietern. Hierdurch werden nach Ansicht der EU Abhängigkeiten verstärkt und Nutzerinnen und Nutzern müssen ohne reelle Auswahlmöglichkeit die Bedingungen der Unternehmen hinnehmen. Die beherrschenden Marktpositionen einiger weniger Anbieter bringen zudem die systematische Benachteiligung konkurrierender Akteurinnen und Akteure mit sich. Viele kleinere Unternehmen haben keinen Zugang zu den von Einzelnen dominierten Märkten und es besteht im Ergebnis keine echte Konkurrenz.
Der Digital Markets Act soll diesen Entwicklungen entgegenwirken, indem er durch ein strengeres Regulierungsregime die Einflussmöglichkeiten von Gatekeepern verringern und für fairere Digitalmärkte und ausgeglichene Wettbewerbsbedingungen sorgen soll.
Adressaten des DMA
Durch den Digital Markets Act werden ausschließlich sogenannte „Zentrale Plattformdienste“, die von „Gatekeepern“ betreiben werden, reguliert (Art. 1 Abs. 2 DMA). Welche Dienste Zentrale Plattformdienste in diesem Sinne sind, ist in der Verordnung abschließend aufgeführt (Art. 2 Nr. 2 DMA). Derzeit umfasst der Begriff zehn Arten von digitalen Diensten:
- Online-Vermittlungsdienste (Online-Marktplätze wie Amazon, Etsy oder Booking.com, aber auch App-Stores),
- Online-Suchmaschinen (Google oder Bing),
- Online-Dienste sozialer Netzwerke (Facebook oder LinkedIn),
- Video-Sharing-Plattform-Dienste (YouTube umfasst, nicht aber Netflix oder Amazon Prime Video die als On-Demand Plattformen gerade kein Teilen von Sendungen oder Videos durch Nutzerinnen und Nutzern ohne redaktionelle Verantwortung anbieten, siehe Art. 1 Abs. 1 lit. aa RL 2010/13/EU),
- Nummernunabhängige interpersonelle Kommunikationsdienste (hinter diesem etwas sperrigen Begriff verbergen sich Nachrichte-Dienste wie WhatsApp oder Facebook Messenger),
- Betriebssysteme für alle „smarten“ Objekte (die Betriebssysteme für Smartphones, Desktop, PCs, Wearables, TVs oder Fahrzeuge),
- Webbrowser (Safari, Firefox etc.),
- Virtuelle Assistenten (Alexa, Siri oder Cortana),
- Cloud-Computing-Dienste (Amazon Web Service oder Microsoft Azure),
- Online-Werbedienste (z.B. Google Ad Sense).
Zentrale Plattformdienste sind nur Gegenstand der Regulierung des Digital Markets Act, wenn sie durch Gatekeeper betrieben werden (Art. 1 Abs. 2 DMA). Ein Unternehmen wird durch einen Benennungsakt der Kommission zum Gatekeeper (Art. 2 Nr. 1 DMA). Es kommt daher entscheidend darauf an, wann die Kommission einen solchen Benennungsakt erlassen wird. Die Benennung als Gatekeeper erfolgt, wenn drei Voraussetzungen kumulativ vorliegen (Art. 3 Abs. 1 DMA). Dazu gehört:
- Der erhebliche Einfluss des Unternehmens auf den Binnenmarkt.
- Die Stellung des einzelnen Dienstes muss ein wichtiges Zugangstor gewerblicher Nutzerinnen und Nutzer, also Geschäftskundinnen und -kunden der Plattform, zu den Endnutzerinnen und -nutzer darstellen.
- Das Unternehmen muss hinsichtlich seiner Tätigkeiten eine gefestigte und dauerhafte Position innehaben bzw. es ist zu mindestens absehbar, dass das Unternehmen eine solche Position in naher Zukunft erlangen wird.
Die Verordnung enthält eine Vermutungsregel, wonach die Kommission bei der Überschreitung bestimmter Schwellenwerte bezüglich Jahresumsatz und Anzahl an Nutzerinnen und Nutzern von dem Vorliegen der normativen Voraussetzungen ausgeht (Art. 3 Abs. 2 DMA).
Wichtig ist an dieser Stelle, zwischen Zentralem Plattformdienst und Gatekeeper zu differenzieren. Einige Unternehmen bieten mehrere Zentrale Plattformdienste an, wobei die Unternehmen nur in einzelnen Fällen als Gatekeeper eingestuft werden können, wenn auch der jeweilige Dienst ein wichtiges Zugangstor zu Endnutzerinnen und -nutzern ist (Art. 3 Abs. 1 lit. b DMA). Beispielsweise könnte das bei dem US-amerikanische Konzern „Meta“ auf dessen Dienste Facebook und Facebook Marketplace zutreffen.
Nach einer Folgenabschätzung der Kommission (Folgenabschätzung, SWD(2020) 364 final Rn. 148, 388.) erfüllen aktuell voraussichtlich zehn bis fünfzehn Unternehmen mit ihren Plattformdiensten die Schwellenwerte für die Vermutungsregelung. Darunter befinden sich Tech-Giganten wie Alphabet, Amazon, Apple, Meta und Microsoft. Die Benennung als Gatekeeper kann aber auch unterhalb der Grenze dieser Schwellenwerte erfolgen (Art. 3 Abs. 8 DMA).
Pflichten der Gatekeeper
Für Gatekeeper gelten unter dem Digital Markets Act Verhaltenspflichten und Verbote. Zudem sieht die neue Verordnung eine Interoperabilitätspflicht für Kommunikationsdienste und die Verpflichtung zur Unterrichtung der Kommission über Fusionen vor (Art. 7 und 14 DMA).
Insgesamt geht es bei den Verboten und Verhaltenspflichten für die Gatekeeper (Art. 5, 6 und 7 DMA) unter anderem darum, die Möglichkeiten zur Selbstbegünstigung von Gatekeepern abzuschwächen. Die Unternehmen können sich bisher im Wettbewerb Vorteile verschaffen, indem sie beispielsweise die Konzentration von Nutzer:innen auf ihren Plattformen oder den umfangreichen Zugang zu Daten von Nutzerinnen und Nutzern ausnutzen. Ein Bestandteil des Digitale Markets Act sind zudem verschärfte datenschutzrechtliche Regelungen.
Das Gesetz enthält eine Reihe an Pflichten, bei denen die Gatekeeper selbstständig eine adäquate Umsetzung ausarbeiten müssen (Art. 6 und 7 DMA). So sind Gatekeeper zukünftig verpflichtet, technische Möglichkeiten schaffen, mit denen Endnutzer:innen Softwareanwendungen auf Betriebssystemen eines Gatekeeper-Dienstes deinstallieren können. Ein Beispiel wäre, dass es Nutzer:innen möglich gemacht wird, die Anbieter-eigenen Apps auf ihrem Smartphone zu löschen. Ausnahmen gelten in Bezug auf technisch notwendige Anwendungen wie beispielsweise Programme zur Steuerung der Betriebseinstellungen. Eine entscheidende Neuerung enthält auch die Vorschrift zur Interoperabilität für Gatekeeper, die Messenger-Dienste anbieten (Art. 7 DMA). Demnach muss das Versenden von Nachrichten zukünftig über verschiedene Anbieter hinweg möglich sein (also z. B. von WhatsApp zu Threema). Ende-Zu-Ende-Verschlüsselungen der versendeten Nachrichten dürfen dabei nicht beeinträchtigt werden. Hiernach getroffene Maßnahmen müssen der Kommission mitgeteilt werden (Art. 8 Abs. 1 DMA).
Untersuchungs- und Durchsetzungsbefugnisse
Die Kontrolle der Umsetzung des Digital Markets Act und Durchsetzungsmaßnahmen bei Verstößen obliegen vor allem der EU-Kommission. Die nationalen Behörden haben nur unterstützende Befugnisse (Art. 37, 38 DMA). Das trägt vor allem der Tatsache Rechnung, dass die regulierten Dienste zu transnational agierenden Unternehmen gehören.
Die EU-Kommission kann zu verschiedenen Zwecken Marktuntersuchungen anstrengen (Art. 16 – 19 DMA). Dadurch soll gewährleistet werden, dass die Wirkrichtung des Gesetzes mit der stetigen Entwicklung von digitalen Märkten Schritt halten kann. Hierbei handelt es sich um ein Instrument, das – ähnlich wie kartellrechtliche Sektoruntersuchungen – den Behörden die Möglichkeit bietet, verschiedene Wirtschaftsbereiche genauer zu untersuchen und dadurch beispielsweise systematische Pflichtverstöße von Gatekeepern aufzudecken (Art. 16 DMA). Die Kommission kann schließlich sog. Nichteinhaltungsbeschlüsse erlassen (Art. 29 DMA), vorab einstweilige Maßnahmen gegen Gatekeeper anordnen (Art. 24 DMA) und empfindliche Geldbußen oder Zwangsgelder verhängen (Art. 30, 31 DMA). Nicht zuletzt unterliegen die Gatekeeper nach dem Digital Markets Act einer Fusionskontrolle. Die Unternehmen müssen bevorstehende Zusammenschlüsse anzeigen und Informationen über die geplanten Übernahmebedingungen einreichen (Art. 14 DMA).
Im Gegensatz zum Digital Services Act enthält der Digital Markets Act keinen eigenen Schadensersatzanspruch. Gewerbliche Nutzerinnen und Nutzer und Endnutzer:innen können Rechte, die ihnen vor allem nach den Artikeln 5, 6 und 7 DMA zustehen, klageweise auf dem Zivilrechtsweg geltend machen. Die entsprechenden Normen dürften taugliche Schutzgesetze i. S. d. § 823 II BGB darstellen. Verbandsklagen von Verbraucherverbänden sind hingegen ausdrücklich in der Verordnung vorgesehen (Art. 42 DMA).
Fazit
Noch steht nicht abschließend fest, welche Unternehmen überhaupt unter die Regulierungen des Digital Markets Act fallen. In einem ersten Schritt müssen Unternehmen nun Stellung beziehen, ob sie die quantitativen Schwellenwerte für die Bewertung als ‚Gatekeeper‘ erfüllen. Mit Geltung des Gesetzes seit dem 2.5.2023 läuft nun eine zweimonatige Frist, innerhalb derer die Unternehmen die relevanten Zahlen bei der EU-Kommission einreichen müssen. Nach einer abschließenden Entscheidung der EU-Kommission haben die Unternehmen wiederum sechs Monate Zeit, die Verpflichtungen aus dem Digital Markets Act umzusetzen. Voraussichtlich im März kommenden Jahres können sich Endnutzerinnen und -nutzer und Geschäftskunden der betroffenen Unternehmen dann auf Änderungen einstellen. Ob die Verordnung genug Schlagkraft hat, um bestehende Strukturen auf dem digitalen Markt zu verändern, bleibt abzuwarten.
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