Brexitfolge: Exportkontrolle und Investitionsprüfung nun mit „Drittland“
Seit dem Brexit am 01.02.2020 – dem Ausscheiden aus der EU – ist das Vereinigte Königreich ein „Drittland“. Die Folgen waren allerdings bis zum Ablauf der Übergangsphase am 31.12.2020 durch die weitere Anwendung des EU-Rechts weitgehend abgemildert. An den drastischen Folgen für die Exportkontrolle, die nun mit dem 01.01.2021 wirken, ändert auch das – bis zu einer Entscheidung des EU Parlaments vorläufig angewendete – Handels- und Kooperationsabkommen nichts.
Gemäß § 2 Abs. 8 des Außenwirtschaftsgesetzes (AWG) sind Drittländer „die Gebiete außerhalb des Zollgebiets der Europäischen Union mit Ausnahme von Helgoland.“ Die Lieferung von Waren und die Übertragung von Software und Technologie aus dem Inland in das Vereinigte Königreich sind daher fortan als „Ausfuhr“ nach § 2 Abs. 3 AWG zu behandeln und stellen nicht mehr bloß eine „Verbringung“ innerhalb der EU dar.
Das Handels- und Kooperationsabkommen stellt in Artikel GOODS.14 Abs. 3 ausdrücklich klar, dass die Exportkontrolle unberührt bleibt:
Zur Klarstellung: Dieser Artikel verpflichtet eine Vertragspartei nicht zur Erteilung einer Ausfuhrlizenz oder hindert eine Vertragspartei nicht daran, ihren Verpflichtungen im Rahmen der Resolutionen des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen sowie den multilateralen Nichtverbreitungsübereinkommen und Einfuhrkontrollvereinbarungen, einschließlich des Wassenaar-Arrangements über Ausfuhrkontrollen für konventionelle Waffen sowie Güter und Technologien mit doppeltem Verwendungszweck, der Australischen Gruppe, der Gruppe der Kernmaterial-Lieferländer und des Trägertechnologie-Kontrollregimes nachzukommen oder unabhängige Sanktionsregelungen einzuführen, aufrechtzuerhalten oder durchzuführen.
Lediglich für noch nicht abgeschlossene Warenbeförderungen sieht das Abkommen über den Austritt des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland aus der Europäischen Union und der Europäischen Atomgemeinschaft (Austrittsabkommen) in Artikel 47 Abs. 1 Satz 2 eine Übergangsregel vor:
Eine Beförderung von Waren, die vor dem Ablauf des Übergangszeitraums begonnen und nach seinem Ablauf geendet hat, wird in Bezug auf die Anforderungen der Einfuhr- und Ausfuhrgenehmigungen und -lizenzen im Unionsrecht wie eine Beförderung innerhalb der Union behandelt.
Für neue Vorgänge kommen europäische und damit natürlich auch deutsche Unternehmen nicht umhin, ihr Produktportfolio sowie ihre Lieferanten- und Kundenbeziehungen zu „screenen“ und im Hinblick auf den Status des Vereinigten Königreiches als Drittland neu zu bewerten. Das Internal Compliance Programme (ICP) / Compliance-Management System (CMS) ist fortzuschreiben und zu prüfen, welche außenwirtschaftsrechtlichen Einschränkungen, Genehmigungserfordernisse und Anzeigepflichten bestehen. Gegebenenfalls müssen erstmalige oder neue Genehmigungen beantragt werden oder Voraussetzungen für die rechtssichere Anwendung von Allgemeingenehmigungen geschaffen werden.
Für den äußerst praxisrelevanten Bereich der Güter mit doppeltem Verwendungszweck („Dual-use“, siehe hierzu unsere News https://www.bho-legal.com/revised-eu-regulation-for-trade-of-dual-use-items/ ) hat die EU beispielsweise bereits Vorsorge getroffen und mit Verordnung 2020/2171/EU vom 16.12.2020 das Vereinigte Königreich zum 01.01.2021 zur Liste der Staaten, die unter die allgemeine Ausfuhrgenehmigung der Union Nr. EU001 fallen, hinzugefügt. Mit Aufnahme in den Kreis der hiernach privilegierten Staaten (Australien, Japan, Kanada, Neuseeland, Norwegen, Schweiz einschließlich Liechtenstein, USA) besteht auch zukünftig für den Großteil der nach EU-Recht genehmigungspflichtigen Ausfuhren von Dual-Use-Gütern kein Erfordernis für die Beantragung von Einzel- oder Sammelgenehmigungen. Aber:
- Nicht erfasst sind eine Reihe von Gütern, zum Beispiel im Luft- und Raumfahrtbereich, und ergänzende nationale Genehmigungserfordernisse bleiben unberührt.
- Zu beachten ist, dass ein Ausführer in jedem Fall die erstmalige Verwendung von EU001 dem Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) bzw. den anderen zuständigen Behörden in der EU zu melden hat – spätestens nach 30 Tagen.
Auch im Hinblick auf die Prüfung ausländischer Direktinvestitionen haben sich die Spielregeln geändert. Ausländische Direktinvestitionen aus dem Vereinigten Königsreich als einem Drittland unterfallen nun grundsätzlich der EU-weiten Überprüfung nach Verordnung 2019/452/EU vom 19.03.2019 (siehe unsere News hierzu: https://www.bho-legal.com/eu-commission-gets-a-say-on-fdis-affecting-space-programmes-and-other-critical-infrastructure/) sowie in Deutschland der außenwirtschaftsrechtlichen Investitionsprüfung. Zusätzlich zu den sektorspezifischen Investitionsprüfungen innerhalb der EU kommt eine Prüfung durch das BMWi zukünftig sektorübergreifend bei jedem Erwerb von 25% der Stimmrechtsanteile in Betracht, bei besonders sicherheitsrelevanten Bereichen wie kritischen Infrastrukturen sogar bereits ab 10%. Die Investitionsprüfungen werden sich insofern allerdings an den Bestimmungen des Handelsabkommens messen lassen müssen, insbesondere an den Bestimmungen in Titel II Kapitel 2 zur Liberalisierung von Investitionen. Eine Prüfung durch das BMWi kann nach §§ 55, 59 Außenwirtschaftsverordnung (AWV) ohnehin nur dann erfolgen, wenn die Investition die öffentliche Ordnung oder Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland, eines anderen Mitgliedstaates der Europäischen Union oder in Bezug auf Projekte oder Programme von Unionsinteresse im Sinne der Verordnung 2019/452/EU voraussichtlich beeinträchtigt. Eine entsprechende Ausnahme zu Gunsten der ordre public sieht auch das Handelsabkommen in Artikel EXC.1 vor. Die Einschränkung in der dazugehörigen Fußnote 67 des Handelsabkommens
Die Ausnahmeregelungen in Bezug auf die öffentliche Sicherheit und die öffentliche Ordnung können nur in Anspruch genommen werden, wenn eine tatsächliche, hinreichend schwere Bedrohung eines grundlegenden Interesses der Gesellschaft vorliegt.
dürfte dabei noch für Gesprächsstoff in den Ausschüssen und womöglich auch in den Streitbelegungsinstanzen sorgen. Stehen Investitionen in Unternehmen vor allem mit sensiblen Tätigkeitsbereichen an, sollten diese Themen frühzeitig abgeklärt werden, um Transaktionen nicht zu belasten bzw. rechtzeitig entsprechend anzupassen.
Ihre Ansprechpartner für weitere Fragen: Dr. Ingo Baumann und Jan Helge Mey, LL.M. (McGill)
Weiterführende Informationen:
Handels- und Kooperationsabkommen
https://eur-lex.europa.eu/legal-content/EN/TXT/?uri=uriserv:OJ.L_.2020.444.01.0014.01.ENG
Austrittsabkommen
https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/?uri=CELEX:12019W/TXT(02)
EU Guidance
https://ec.europa.eu/info/sites/info/files/file_import/import_and_export_licences_de_0.pdf
https://ec.europa.eu/info/sites/info/files/file_import/dual-use-export-controls_de_0.pdf
BAFA
https://www.bafa.de/DE/Aussenwirtschaft/Ausfuhrkontrolle/Brexit/brexit_node.html