Mangelhafte Dokumentation von Eignungsprüfung und Angebotswertung stellt grundlegenden Mangel des Vergabeverfahrens dar
VK Bund, Beschluss vom 02.02.2024 – VK 2-98/23
Ein Bieter wendet sich gegen die bevorstehende Zuschlagserteilung an seinen Konkurrenten. Er hatte ein Schreiben nach § 134 GWB erhalten und daraufhin seinen Ausschluss gerügt. Dabei gab er an, dass er „nur vermuten“ könne, dass sein Konkurrent einen unangemessen niedrigen Preis angeboten habe und dass er selbst „branchenbekannt für hohe Qualität“ stehe. Außerdem gab er an, dass ihm aufgrund seiner Marktkenntnis bekannt sei, dass sein Konkurrent nicht über die notwendige Eignung verfüge und dass es ihm aufgrund der wenigen Informationen im Schreiben nach § 134 GWB nicht möglich sei, die Wertungsentscheidung nachzuvollziehen.
Nachdem seiner Rüge nicht abgeholfen wurde, stellte der Bieter einen Nachprüfungsantrag. Ihm wird Akteneinsicht gewährt. Er führt aus, dass sein Vortrag durch diese bestätigt sei. Der Auftraggeber habe lediglich die pauschale Feststellung dokumentiert, alle Bieter seien geeignet. Auch die Angebotswertung sei nicht dokumentiert. Insbesondere fehle ein Quervergleich zwischen den Angeboten. Der Bieter führte noch mehrere weitere Gründe an, aus denen seiner Ansicht nach eine Eignung seines Konkurrenten nicht gegeben sein könne, was er jeweils aus seiner Marktkenntnis und bzw. oder den Ausführungen des Auftraggebers (Antragsgegner) im Vergabeverfahren schließe.
Der Antragsgegner beantragt die Zurückweisung des Nachprüfungsantrags. Die Vorwürfe des Bieters seien „ins Blaue hinein“ geäußert.
Die Vergabekammer entspricht dem Antrag des Auftragnehmers.
Der Antrag sei zulässig, insbesondere sei die Rüge ausreichend substantiiert. Hinsichtlich aller drei gerügten Umstände (Fehlende Wirtschaftlichkeitsbetrachtung nach § 60 VgV; Mangelhafte Eignungsprüfung; Mangelhafte Angebotswertung) seien aus der Rüge zumindest Anknüpfungstatsachen oder Indizien erkennbar, so dass das Mindestmaß an Substantiierung eingehalten werde.
Der Antrag sei im Ergebnis auch begründet, auch wenn die Eignung des Konkurrenten nicht aus allen vom Bieter angeführten Gründen nicht gegeben sei und eine Prüfung nach § 60 VgV nicht erforderlich gewesen sei. Die Vergabekammer geht davon aus, dass, wenn die Vergabedokumentation keine Aussage zu erforderlichen Prüfungsschritten enthalte, im Sinne einer „negativen Beweiskraft“ des Vergabevermerks davon auszugehen sei, dass die jeweiligen Prüfungen auch tatsächlich nicht durchgeführt worden seien. Ergänzungen während des Nachprüfungsverfahrens seien nur möglich, wenn die wesentlichen Überlegungen des Auftraggebers sich bereits in der Dokumentation fänden. Das sei vorliegend nicht der Fall. Hierin erkennt die Vergabekammer einen grundlegenden Mangel.
Der Entscheidung liegt wesentlich die der Vergabekammer (und wohl nicht im gleichen Umfang dem Bieter) vorliegenden Dokumentation der Angebotsauswertung zugrunde. Hier hat der Auftraggeber zu den erforderlichen Referenzen nur folgendes festgehalten: „Mindestens 3 Referenzen, die die Mindestanforderungen erfüllen: Ja“. Die Vergabekammer führt aus, dass die folgenden Prüfungen erforderlich gewesen und zu dokumentieren gewesen wären:
- Ob die Referenzleistungen einen Bezug zum streitgegenständlichen Auftrag aufweisen und ob es sich beim angegebenen Auftraggeber um einen öffentlichen Auftraggeber handelt; beides war gefordert, beide Umstände waren zumindest zum Teil nicht unmittelbar aus den Bieterangaben ersichtlich.
- Ob die Referenzen den geforderten Mindestumfang haben. Insbesondere soweit die Auftragszeiträume größer ausfielen als das geforderte Höchstalter von drei Jahren, wäre zu prüfen gewesen, ob sich der angegebene Umfang (angegeben in EUR) nur auf die letzten drei Jahre oder auf den gesamten Zeitraum beziehe.
Hinsichtlich der Angebotswertung bemängelt die Vergabekammer v.a. die Dokumentation. In der Vergabedokumentation war hinsichtlich eines Bewertungskriteriums nur das Ergebnis der Angebotswertung festgehalten. Handschriftliche Bewertungen der einzelnen Prüfer wurden der Vergabekammer nachgereicht. Hinsichtlich anderer Bewertungskriterien wurde in der Angebotswertung nur der veröffentlichte Erwartungshorizont wiederholt, womit festgehalten werden sollte, dass dieser voll erfüllt gewesen sei. Das genügte der Vergabekammer nicht.
Die Vergabekammer kritisierte außerdem, dass kein Quervergleich zwischen den abgegebenen Angeboten vorgenommen worden sei. Es sei erforderlich gewesen, sich mit der Prüfung zu beschäftigen, ob Angebote im Quervergleich bei einzelnen qualitativen Wertungsvorgaben die Anforderungen des Auftraggebers besser oder schlechter als andere Angebote erfüllen. Die Vergabekammer deutet an, dass der Auftraggeber hier im Rahmen der Qualitätswertung bei allen Angeboten die maximale Punktzahl vergeben hatte, so dass es tatsächlich zu einem reinen Preiswettbewerb kam. Die Vergabekammer gesteht zu, dass bei mehreren Bewertungskriterien ein Quervergleich überhaupt nicht möglich war, weil die Bewertungspunkte mit klar festzustellenden Tatsachen zu erreichen waren (liegt vor/ liegt nicht vor). Einen Beurteilungsspielraum, der einen Quervergleich zuließe, erkennt die Vergabekammer allerdings in den folgenden Elementen (kursiv) einzelner Bewertungskriterien: „2 BP: Das eingereichte Profil hat zum Leistungsgegenstand vergleichbare erkennbare Projekterfahrung aus zwei oder mehr agilen Projekten“.
Der Bieter trägt keine Verfahrenskosten und bekommt die Kosten zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung erstattet, weil er sein Rechtsschutzziel erreicht hat, auch wenn er nicht mit allen Rügen durchgedrungen ist (so auch OLG Düsseldorf, Beschluss vom 11.04.2022 – Verg 5/22).
PRAXISHINWEIS:
Die Entscheidung illustriert gut, welche Risiken für öffentliche Auftraggeber bei einer nicht ausreichend dokumentierten Zuschlagsentscheidung bestehen. Allein das Nachprüfungsverfahren verzögerte den Abschluss des Vergabeverfahrens in diesem Fall um ca. drei Monate.
Dabei kam es auf den Bietervortrag vorliegend nicht wesentlich an. Die Vergabekammer bezeichnet die mangelhafte Dokumentation der Eignungsprüfung und Angebotswertung in dem streitgegenständlichen Vergabeverfahren als „grundlegenden Mangel“. So werden solche Mängel bezeichnet, bei der die Vergabekammer davon ausgeht, dass sie von Amts wegen – unabhängig von Anträgen und Vortrag der Beteiligten – aufzugreifen wären, wozu die Vergabekammer berechtigt ist (§ 168 Abs. 1 GWB). Auch führte die Rügepräklusion vorliegend nicht zu einer Begrenzung der Prüfung, da die Vergabekammer davon ausging, dass schon in der ursprünglichen, relativ abstrakt gehaltenen Rüge ausreichend Indizien hinsichtlich der später streitgegenständlichen Verstöße gegen Vergabevorschriften vorlagen. Eine Heilung von Dokumentationsmängeln während des Vergabeverfahrens war nicht möglich, weil wesentliche Überlegungen, die hätten ergänzt werden können, fehlten.
Die Entscheidung zeigt jedoch auch auf, dass es eine erfolgsversprechende Strategie für Bieter sein kann, möglichst viele Umstände zu rügen, auch wenn nicht jeder Vorwurf umfangreich substantiiert werden kann. Die Vergabekammer hat hier zu allen vom Bieter angeführten Umständen Stellung bezogen, wozu sie nicht verpflichtet gewesen wäre, wenn sie zu dem Schluss gekommen wäre, dass es sich um substanzlosen Vortrag „ins Blaue hinein“ handelt. Dass viele Vorwürfe des Bieters letztlich nicht zu halten waren, veränderte weder die Entscheidung in der Sache noch zu den Kosten.
Es erscheint nicht unzumutbar für öffentliche Auftraggeber eine umfangreichere Dokumentation anzulegen, als dies der öffentliche Auftraggeber in diesem Verfahren getan hat. Die Entscheidung zeigt jedoch auch auf, dass es damit nicht immer getan ist. Von den Auftraggebern ist gefordert, Angaben der Bieter kritisch auf Plausibilität hin zu überprüfen und dies zu dokumentieren. Nach dieser Entscheidung genügt es beispielsweise nicht, bei allen angegebenen Auftraggebern davon auszugehen, dass es sich um öffentliche Auftraggeber handelt, nur weil eben dies gefordert war. Sofern nicht ein Fall eines offensichtlichen öffentlichen Auftraggebers vorliegt oder sofern nicht eine explizite Erklärung über diese Eigenschaft vom Bieter gefordert worden ist, wäre das Angebot nach dieser Entscheidung aufzuklären.
Die Ausführungen der Vergabekammer zum notwendigen Quervergleich überzeugen nicht vollständig. Würde der Auftraggeber die hervorgehobenen Elemente nutzen, um im Vergleich zu den Angaben anderer Bieter besonders vergleichbare oder besonders agile Projekte zu bevorzugen, würde er sich unweigerlich der berechtigten Kritik aussetzen, dass der Bewertungsmaßstab nicht hinreichend transparent gewesen ist. Auch wenn in diesem Einzelfall Anhaltspunkte bestanden haben, die darauf hindeuten, dass die Angebotswertung nicht nur nicht sorgfältig dokumentiert, sondern auch nicht sorgfältig durchgeführt wurde, kann daraus nicht folgen, dass eine exakt gleiche Qualitätswertung aller Angebote vergaberechtlich ausgeschlossen ist. Zwar wäre deren Folge tatsächlich eine reine Preiswertung. Genauso würde jedoch umgekehrte eine reine Qualitätswertung in einer Situation erfolgen, in der alle Bieter die exakt gleichen Preise abgegeben hätten. Zwar ist richtig, dass die Ermittlung des wirtschaftlichsten Kriteriums nur mittels eines Quervergleichs erfolgen kann. Dieser Quervergleich kann jedoch – insbesondere insoweit die Qualitätskriterien so statisch formuliert sind, dass hinsichtlich der Punktevergabe kein Spielraum besteht – ergeben, dass für mehrere Angebote das gleiche Preis-/Leistungsverhältnis vorliegt.
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