Brexitfolge? Die EU-Kommission setzt Schutzmaßnahmen bei der Ausfuhr von COVID-19-Impfstoffen in Kraft
Seit nunmehr einem Monat ist das Vereinigte Königreich aus Sicht der EU als „Drittland“ zu behandeln. Zu den Folgen für die Exportkontrolle und die Investitionsprüfung siehe hier: https://www.bho-legal.com/brexitfolge-exportkontrolle-und-investitionspruefung-nun-mit-drittland/
Im Zusammenhang mit der Auseinandersetzung zwischen der EU und AstraZeneca über die Lieferung von COVID-19-Impfstoffen hat die EU-Kommission nun zu einem außergewöhnlichen Instrument gegriffen und deren Ausfuhr von einer Genehmigung abhängig gemacht. Gestützt wird das seit dem 30.01.2021 geltende Verbot für nichtgenehmigte Ausfuhren auf Artikel 5 der Verordnung (EU) 2015/479 über eine gemeinsame Ausfuhrregelung, der die EU-Kommission zu Schutzmaßnahmen bei durch einen Mangel an lebenswichtigen Gütern bedingten Krisenlagen ermächtigt:
(1) Um einer durch einen Mangel an lebenswichtigen Gütern bedingten Krisenlage vorzubeugen oder entgegenzuwirken, kann die Kommission, auf Antrag eines Mitgliedstaats oder von sich aus, sofern die Interessen der Union ein unverzügliches Eingreifen erfordern, unter Berücksichtigung der Art der Erzeugnisse und der sonstigen Besonderheiten der betreffenden Transaktionen die Ausfuhr eines Erzeugnisses von der Vorlage einer Ausfuhrgenehmigung abhängig machen, die nach den Modalitäten und in den Grenzen zu gewähren ist, die sie gemäß dem in Artikel 3 Absatz 2 vorgesehenen Prüfverfahren oder bei Dringlichkeit gemäß Artikel 3 Absatz 3 festlegt.
Die zu Grunde liegende Durchführungsverordnung (EU) 2021/111 ist unmittelbar am Tage ihrer Veröffentlichung im Amtsblatt der EU am 30.01.2021 und soll voraussichtlich bis zum 31.03.2021 in Kraft bleiben in Kraft getreten. Die Ausfuhr von
- Impfstoffen gegen SARS-assoziierte Coronaviren (SARS-CoV-Arten) des KN-Codes 3002 20 10, unabhängig von ihrer Verpackung
- Wirkstoffen, einschließlich Master- und Arbeitszellbänken, die für die Herstellung solcher Impfstoffe verwendet werden
bedarf in dieser Zeit einer Ausfuhrgenehmigung, die nur erteilt wird,
wenn das Ausfuhrvolumen keine Gefahr für die Erfüllung der von der Union mit Impfstoffherstellern geschlossenen Vereinbarungen über Abnahmegarantien darstellt.
Von dem strengen Genehmigungserfordernis werden ausweislich des Verordnungstextes aus Gründen der Solidarität eine ganze Reihe von Ausnahmen gemacht:
- Ausfuhren in die Republik Albanien, nach Andorra, nach Bosnien und Herzegowina, auf die Färöer, in die Republik Island, in das Kosovo, in das Fürstentum Liechtenstein, nach Montenegro, in das Königreich Norwegen, in die Republik Nordmazedonien, in die Republik San Marino, in die Schweizerische Eidgenossenschaft, nach Serbien, in den Staat Vatikanstadt und in die in Anhang II des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union aufgeführten überseeischen Länder und Gebiete sowie Ausfuhren nach Büsingen, Helgoland, Livigno, Ceuta und Melilla, Ägypten, Algerien, Jordanien, Libanon, Libyen, Marokko, Palästina, Syrien, Tunesien, Armenien, Aserbaidschan, Belarus, Georgien, Israel, Moldau und in die Ukraine
- Ausfuhren in Länder mit niedrigem und mittlerem Einkommen auf der COVAX-AMC-Liste, d.h. in 92 Länder, die ein Bruttonationaleinkommen pro Kopf von unter 4000 USD aufweisen.
- Ausfuhren von Erzeugnissen, die über COVAX, UNICEF und die Pan American Health Organization (PAHO) gekauft und/oder in andere an COVAX teilnehmende Länder geliefert werden
- Ausfuhren von Erzeugnissen, die von EU-Mitgliedstaaten im Rahmen von Abnahmegarantien der EU gekauft und an ein Drittland gespendet oder weiterverkauft werden
- Ausfuhren im Zusammenhang mit einer humanitären Soforthilfe
- Ausfuhren an Einrichtungen auf dem Festlandssockel eines Mitgliedstaats oder in der von einem Mitgliedstaat gemäß dem Seerechtsübereinkommen ausgewiesenen ausschließlichen Wirtschaftszone.
Die Maßnahmen werden voraussichtlich bis zum 31.03.2021 in Kraft bleiben. Die Erwägungsgründe gehen davon aus, dass zu diesem Zeitpunkt die volle Produktionskapazität für COVID-19-Impfstoffe in der EU erreicht ist und sich das Risiko von Versorgungsengpässen und Umlenkungen von Lieferungen verringert hat.
Unabhängig von der Relevanz dieser Schutzmaßnahmen zur Bewältigung der „Krisenlage“ ist das hier angewendete Mittel eine eindrückliche Folgeerscheinung des Brexit. Das Vereinigte Königreich ist im Verhältnis zur EU und ihren Mitgliedstaaten nun ein „Drittland“ – mit allen Begleiterscheinungen. Unternehmen auf beiden Seiten des Kanals sollten sich dieser schmerzhaften Realität stellen und ihr Produktportfolio sowie ihre Lieferanten- und Kundenbeziehungen „screenen“ und ihr Internal Compliance Programme daran anpassen.
Ihre Ansprechpartner für weitere Fragen: Jan Helge Mey, LL.M. (McGill)