BGH-Urteil: Neue Regeln zum Umgang mit AGB bei der Vergabe
Der BGH hat kürzlich entschieden, dass Abwehrklauseln in den Vergabeunterlagen einem Ausschluss von Angeboten mit abweichend gestellten Vertragsbedingungen grundsätzlich entgegenstehen (BGH, Urteil vom 18. Juni 2019 – X ZR 86/17). Bei Abwehrklauseln handelt es sich um Vertragsbestimmungen, die die Anwendbarkeit der Vertragsbedingungen des jeweiligen Vertragspartners für unanwendbar erklären.
Nach Auffassung des Gerichts dienen die Regelungen dazu, den Ausschluss von Angeboten aus formalen Gründen zu verhindern und, im Interesse eines möglichst umfassenden Wettbewerbs, die Anzahl der am Wettbewerb teilnehmenden Angebote nicht unnötig zu reduzieren.
Die für Konflikte aus der wechselseitigen Einbeziehung kollidierender Allgemeiner Geschäftsbedingungen im privaten Geschäftsverkehr außerhalb der öffentlichen Auftragsvergabe entwickelten Lösungsmöglichkeiten seien in dieser Fallgestaltung hingegen nicht einschlägig.
Auch ohne Abwehrklausel scheide ein Angebotsausschluss aus, wenn sich aufklären lässt, dass die Abweichungen auf einem Missverständnis des Bieters beruhen und nach bloßer Streichung der bieterseitigen Bedingungen noch ein wertungsfähiges Angebot vorliege.
Der Ausschluss eines Angebotes aufgrund der Änderung oder Ergänzung der Vergabeunterlagen ist neben den im BGH Urteil streitgegenständlichen Bestimmungen der VOB/A auch gemäß § 57 Abs. 1 Nr. 4 VgV sowie § 31 Abs. 2 Nr. 4 VSVgV möglich. Daher ist die Entscheidung des BGH von besonderer Relevanz.
Sachverhalt
In dem Revisionsverfahren ging es um die Ausschreibung eines öffentlichen Auftraggebers von Tief- und Straßenbauarbeiten im offenen Verfahren nach dem 2. Abschnitt der VOB/A 2012. Zur Abgabe eines formwirksamen Angebots hatten die Bieter u.a. ein vorformuliertes Angebotsschreiben unterschrieben einzureichen. Geforderter Angebotsinhalt waren des Weiteren die in diesem Angebotsschreiben aufgelisteten, als Vertragsgrundlagen der Angebote gekennzeichneten Unterlagen und Formblätter. Dazu gehörten neben dem Angebotsschreiben selbst auch ein Leistungsverzeichnis, die Besonderen Vertragsbedingungen für Bauleistungen, sowie die Zusätzlichen Vertragsbedingungen für Bauleistungen (ZVBBau).
Die Regelungen zur Abrechnung und zur Zahlung der Vergütung in § 8 ZVBBau sahen vor, dass die Schlusszahlung innerhalb von 30 Kalendertagen nach der Abnahme und Stellung einer prüfbaren Schlussrechnung erfolgt. Der Bieter versah jedoch den Endpreis in seinem Angebot mit dem Zusatz: „[…] zahlbar bei Rechnungserhalt ohne Abzug“.
Nach Auffassung des öffentlichen Auftraggebers habe der Bieter durch die Einfügung der Klausel „zahlbar bei Rechnungserhalt ohne Abzug“ Änderungen an den Vergabeunterlagen vorgenommen und entsprechend den Ausschlussgrund des § 16 EU Abs. 1 Buchst. b i.V.m. § 13 EU Abs. 1 Nr. 5 Satz 1 VOB/A 2012 verwirklicht.
Darin hieß es:
„1. Auszuschließen sind:
[…]
- b) Angebote, die den Bestimmungen des § 13 Absatz 1 Nummern 1, 2 und 5 nicht entsprechen,
[…]“
sowie:
„5. Änderungen an den Vergabeunterlagen sind unzulässig. Änderungen des Bieters an seinen Eintragungen müssen zweifelsfrei sein.“
Die Entscheidung
Der BGH befand den Ausschluss für rechtswidrig. Denn die in den Vergabeunterlagen verwendeten Abwehrklauseln zielten gerade darauf ab, bei Angeboten, denen ein Bieter eigene Vertragsbedingungen beigefügt hat, einen Ausschluss nach § 13 EU Abs. 1 Nr. 5, § 16 EU Nr. 2 VOB/A 2012 zu vermeiden.
In Anbetracht der Bindung des öffentlichen Auftraggebers an die Grundsätze der Transparenz und Gleichbehandlung liege aus objektiver Sicht der Bieter die Annahme fern, die mit den Vergabeunterlagen vorgegebenen Bedingungen dürften bieterseitig durch eigene Klauseln oder Allgemeine Geschäftsbedingungen ersetzt oder sonst abgewandelt werden. Füge ein Bieter seinem Angebot gleichwohl eigene Vertragsbedingungen bei, deute dies auf ein Missverständnis des Bieters hinsichtlich der Bindungen des öffentlichen Auftraggebers bei der öffentlichen Auftragsvergabe hin. Wäre dem Bieter die Bindung des öffentlichen Auftraggebers an den Inhalt der Vergabeunterlagen bewusst gewesen, hätte er laut BGH auf abweichende Klauseln verzichtet.
In solchen Fällen ermögliche es die Abwehrklausel dem öffentlichen Auftraggeber, das Angebot des Bieters in der Wertung zu belassen. Denn aufgrund der Abwehrklausel könnten abweichende Bedingungen des Bieters nicht Vertragsbestandteil werden.
Die für Konflikte aus der wechselseitigen Einbeziehung kollidierender Allgemeiner Geschäftsbedingungen im privaten Geschäftsverkehr außerhalb der öffentlichen Auftragsvergabe entwickelten Lösungsmöglichkeiten seien in dieser Fallgestaltung nicht einschlägig. Daher habe der öffentliche Auftraggeber nicht zu befürchten, dass der Bieter sich im Falle eines Zuschlags mit Erfolg auf die eigenen Allgemeinen Geschäftsbedingungen berufen könne, oder dass Auftraggeber und Bieter im Umfang der Kollision auf die gesetzlichen Regelungen verwiesen wären.
Für den Ausschluss des Angebots des Bieters wegen vermeintlicher Änderungen an den Vergabeunterlagen bestünde entsprechend regelmäßig keine Veranlassung. Der Auftraggeber habe allenfalls vorsorglich zur Klarstellung gegenüber dem Bieter auf den Vorrang der für die Schlusszahlung geltenden Klauseln in den ZVBBau hinweisen können.
Das Angebot des Bieters habe zudem auch ohne die Abwehrklausel des Auftraggebers nicht gemäß § 16 EU Nr. 2 VOB/A 2012 ausgeschlossen werden können, weil sich dem Auftraggeber die Regelung des Bieters als Missverständnis hätte aufdrängen müssen. So hätte der Auftraggeber die Abweichungen von den Vergabeunterlagen ohne Verstoß gegen § 15 EU Abs. 1 Nr. 1 VOB/A 2012 aufklären und so das Angebot auf den maßgeblichen Inhalt der Vergabeunterlagen zurückführen können, sofern der Bieter im Rahmen der Aufklärung von den beigegebenen eigenen Allgemeinen Geschäftsbedingungen Abstand genommen hätte. Dies folge daraus, dass mit dem Inkrafttreten der Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen 2009 die gesetzliche Grundlage für die zu älteren Ausgaben der Vergabe- und Vertragsordnung ergangene strenge Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Handhabung der Angebotsausschlussgründe entfallen sei, welche vom Gedanken formaler Ordnung geprägt war. Zwar sei der Ausschlussgrund der Änderung der Vergabeunterlagen vom Wortlaut her unverändert geblieben. Die Regelung sei jedoch dem geänderten Wertungswandel in den rechtlichen Grundlagen der Vergabebestimmungen angepasst auszulegen und anzuwenden. Der Ausschluss der Klägerin habe daher nicht darauf gestützt werden können.
Davon zu unterscheiden seien allerdings Fälle mit manipulativen Eingriffen in die Vergabeunterlagen, welche dadurch gekennzeichnet seien, dass ein von den Vorgaben der Vergabeunterlagen inhaltlich abweichendes Angebot abgegeben werde und bei Hinwegdenken dieser Abweichungen gerade kein vollständiges, sondern ein lückenhaftes Angebot vorliege.
Rechtliche Würdigung
Laut BGH ist die vom öffentlichen Auftraggeber verwendete Abwehrklausel im Lichte der Neuregelungen seit der VOB/A 2009 zu verstehen. Nach Ansicht des Gerichts dienen die Regelungen dazu, den Ausschluss von Angeboten aus formalen Gründen zu verhindern und, im Interesse eines möglichst umfassenden Wettbewerbs, die Anzahl der am Wettbewerb teilnehmenden Angebote nicht unnötig zu reduzieren.
Vor diesem Hintergrund hat der BGH die zur alten Gesetzgebung ergangene „vom Gedanken formaler Ordnung geprägte strenge Rechtsprechung“ nunmehr aufgegeben. Der in Streit stehende Ausschlussgrund sei künftig dem Wertungswandel in den rechtlichen Grundlagen der Vergabebestimmungen entsprechend auszulegen und anzuwenden.
Die Entscheidung ist auch auf die VgV und die UVgO übertragbar.
Empfehlung
Die in der aktuellen Vergabepraxis verwendeten Vertragsbedingungen beinhalten bereits heute regelmäßig Abwehrklauseln, zum Beispiel sämtliche EVB-IT. Dort heißt es etwa im EVB-IT Erstellungsvertrag unter Nummer 1.3.3:
„Soweit Allgemeine Geschäftsbedingungen im Sinne von § 305 BGB in den hier referenzierten Dokumenten des Auftragnehmers bzw. den sonstigen vom Auftragnehmer beigefügten Anlagen zu diesem Vertrag Regelungen in den EVB-IT Erstellungs-AGB widersprechen, sind sie ausgeschlossen, soweit nicht eine anderweitige Vereinbarung in den EVB-IT Erstellungs-AGB zugelassen ist. Weitere Geschäftsbedingungen sind ausgeschlossen, soweit in diesem Vertrag nichts anderes vereinbart ist.“
Nach der zitierten Rechtsprechung stehen diese einem Ausschluss von Angeboten entgegen, die mit abweichenden Vertragsbedingungen oder Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Bieter versehen sind. Daher empfehlen wir auch weiterhin entsprechende Klauseln in die Vertragsbedingungen aufzunehmen.
Dagegen raten wir zukünftig davon ab, in den Bewerbungsbedingungen explizit darauf hinzuweisen, dass das Beifügen der AGB zum zwingenden Ausschluss des Angebots führt. Denn diese Aussage trifft nach BGH so nicht zu.
Ein auf die Abweichung von den Vergabeunterlagen gestützter Ausschluss von Angeboten sollte daher nicht ohne Prüfung geschehen, ob es sich bei diesen Abweichungen um ein Missverständnis handelt. Es empfiehlt sich daher, dies im Rahmen des Zulässigen aufzuklären. Erst wenn die Aufklärung ergibt, dass der Bieter sich an das Angebot ohne die Abweichung von den Vergabeunterlagen nicht mehr gebunden sehen will, ist der Bieter auszuschließen.
News kompakt zum Download: BHO Legal_Mandanteninformation zu BGH-Urteil AGB des Bieters im Vergabeverfahren
Autor: Dr. Nana K. A. Baidoo, LL.M.