Pläne für ein Unternehmensstrafrecht in der Bundesregierung
Das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV) veröffentlichte am 22.4.2020 den Entwurf für ein Gesetz zum Unternehmensstrafrecht, das inzwischen den blumigen Titel „Gesetz zur Stärkung der Integrität in der Wirtschaft“ trägt. Im ersten Entwurf vom 15.8.2019 wurde es noch mit dem aussagekräftigeren Titel „Gesetz zur Bekämpfung der Unternehmenskriminalität“ bezeichnet. Die Sanktionierung von Unternehmen für rechtswidriges Verhalten soll auf eine eigenständige gesetzliche Grundlage gestellt werden und eine angemessen Ahndung von Verbandsstraftaten ermöglichen. Hintergrund dessen ist, dass das deutsche Strafrecht nur für natürliche Personen gilt. Die Verfolgung von Verbandstaten ist bisher nur auf Grundlage des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten (OWiG) möglich, so dass die Strafen deutlich geringer sind.
Neben einigen Änderungen der Strafprozessordnung (Art. 4) oder des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten (Art. 9) ist Hauptbestandteil des Entwurfes das sog. Verbandssanktionengesetz (VerSanG-E). Das Ziel des VerSanG-E ist es, Verbände (primär: Unternehmen), deren Zweck auf einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb gerichtet ist, zu sanktionieren. Insbesondere die bisher verhältnismäßig geringe Geldbuße wurde für multinationale Konzerne als nicht ausreichend empfunden. Der Entwurf wird voraussichtlich im Sommer in den Bundestag eingebracht und soll noch in dieser Legislaturperiode verabschiedet werden. Deswegen empfiehlt sich schon jetzt ein genauer Blick auf die neuen Regelungen, sodass sich Unternehmen in Zukunft auf das Gesetz einstellen können und frühzeitig Maßnahmen ergreifen können.
Neue Pflicht zur Verfolgung von Verstößen
Im bisher geltenden Bußgeldverfahren liegt es im Ermessen der Verfolgungsbehörden, ob gegen ein Unternehmen, bei Begehung einer Straftat oder Ordnungswidrigkeit durch eine Leitungsperson, eine Sanktion verhängt wird. Das führte dazu, dass nach Eindruck von Regierung und Presse-Öffentlichkeit zu viel rechtswidriges Verhalten von Unternehmen ungestraft bleibt. Daher sollen künftig die Verfolgungsbehörden angewiesen werden, bei Vorliegen eines Anfangsverdachts auf eine Straftat durch ein Unternehmen ein Ermittlungsverfahren gegen den Verband einzuleiten (Legalitätsprinzip). Dieser Umstand wird voraussichtlich zu einer steigenden Anzahl von Sanktionsverfahren führen.
Liegt der Anfangsverdacht vor, wird im Rahmen des Ermittlungsverfahrens geprüft, ob durch Handlungen einer Leitungsperson des Unternehmens oder durch einen Mitarbeiter Verpflichtungen des Verbands verletzt worden sind. Dazu können auch rechtswidrige Handlungen zählen, durch die der Verband bereichert werden sollte. Wenn feststeht, dass eine Leitungsperson eine Verbandstat begangen hat, müssen die Verfolgungsbehörden gem. § 3 Abs. 1 VerSanG-E eine Sanktion verhängen. Die Handlungen eines Mitarbeiters werden dem Unternehmen allerdings nur zugerechnet, wenn er diese in Wahrnehmung der Aufgaben des Unternehmens begangen hat und die Tat durch entsprechende Vorkehrungen (Compliance-Maßnahmen) hätte verhindert, oder zumindest wesentlich erschwert werden können.
Erleichterungen für Unternehmen bei unternehmensinternen Untersuchungen
Unternehmensinterne Untersuchungen der Verbände erhalten im Gesetz einen besonders hohen Stellenwert. So sollen nach § 17 VerSanG-E die Sanktionen unter anderem abgemildert werden, wenn der Verband wesentlich dazu beigetragen hat, dass die Verbandstat aufgeklärt wurde oder ununterbrochen und uneingeschränkt mit den Verfolgungsbehörden zusammenarbeitet. Eine Milderung wird nur ausgeschlossen, wenn die Ergebnisse der verbandsinternen Untersuchung erst nach Eröffnung des Hauptverfahrens offenbart werden. Der Gesetzgeber schafft damit den behördlichen Zugriff auf die Unterlagen der Aufklärungsmaßnahmen und sichert sich Beschlagnahmefreiheit. Für Unternehmen hat die saubere Durchführung interner Untersuchungen den weiteren Vorteil, dass nach § 50 VerSanG-E die Möglichkeit der Verhängung eines „verbandssanktionsrechtlichen Strafbefehls“ besteht, der dazu führt, dass mangels öffentlicher Hauptverhandlung das Strafverfahren ohne Einbindung der Öffentlichkeit vollzogen werden kann.
Durch ein geeignetes Compliance-Management-System (CMS) kann die Zurechnung von Verbandstaten, die durch Dritte oder Mitarbeiter begangen wurden, entfallen (§ 3 Abs. 1 Nr. 1 VerSanG-E) oder von der Fortführung eines Ermittlungsverfahrens gegen den Verband nach §§ 35, 36 VerSanG-E abgesehen werden. Grundsätzlich fördert das CMS durch seine standardisierten Grundsätze regelgetreues bzw. pflichtgemäßes Verhalten. Das System sollte, um den Ansprüchen des VerSanG-E zu genügen, konkrete Maßnahmen und Organisationsstrukturen beinhalten, die dazu dienen, präventiv Verbandsstraftaten aufzudecken und deren Begehung zu verhindern. Verpasst das Unternehmen die Implementierung eines Compliance-Management-Systems kann dies nach § 15 Abs. 3 Nr. 6 VerSanG-E zu einer Sanktionsverschärfung führen.
Höhere Strafen für Unternehmen
Bisher hatten Unternehmen bei Begehung einer Verbandstat im schlimmsten Fall eine Geldbuße in Höhe von 10 Millionen Euro zu befürchten (§ 30 Abs. 2 Nr. 1 OWiG). Nach dem neuen Entwurf können jetzt weitaus höhere Sanktionen drohen. Insbesondere für umsatzstarke Verbände kann es teuer werden: Das VerSanG-E orientiert sich bei der Höhe der Sanktion am Unternehmensumsatz und erweitert dadurch den bisherigen Sanktionsrahmen (§ 9 VerSanG-E) drastisch. Unternehmen mit einem durchschnittlichen Jahresumsatz von über 100 Millionen Euro müssen nun Sanktionen in Höhe von bis zu 10 % des Jahresumsatzes befürchten.
Handlungsempfehlungen für Unternehmen
Das BMJV geht davon aus, dass die Neuregelung keinen Erfüllungsaufwand für die Wirtschaft darstelle. Vielmehr soll das Gesetz der Mehrheit der Unternehmen zugutekommen, da lediglich Unternehmen, die sich nicht rechtstreu und lauter verhalten, sanktioniert werden sollen. Mit Inkrafttreten des VerSanG-E ist allerdings zu erwarten, dass die Anzahl der eingeleiteten Ermittlungsverfahren gegen Unternehmen stark zunehmen wird. Zur Abmilderung und Verhinderung der möglicherweise drohenden Sanktionen, werden vorherige interne Kontroll-Maßnahmen, die Durchführung von Audits und ein funktionierendes Compliance-System für größere Unternehmen unerlässlich.
Insbesondere die praktische Bedeutung von unternehmensinternen Untersuchungen im Falle eines (möglichen) strafrechtlichen Fehlverhaltens wird drastisch zunehmen. Unternehmen sollten folglich die organisatorischen Maßnahmen zur Ermöglichung der „Internal Investigations“ treffen und die Regelungen zeitnah praktisch implementieren. Die Befragungen der Mitarbeiter sind, unter Beachtung der Grundsätze eines fairen Verfahrens (z.B. anwaltlicher Beistand, Hinweis auf mögliche Berücksichtigung der Auskünfte in einem Strafverfahren etc.), zu organisieren und die uneingeschränkte Zusammenarbeit mit den Verfolgungsbehörden ist vorzubereiten.
Fazit zum geplanten Unternehmensstrafrecht
Den Verfolgungsbehörden und Gerichten soll ein ausreichend scharfes und zugleich flexibles Sanktionsinstrumentarium zur Verfügung gestellt werden. Der Gesetzgeber macht allerdings auch deutlich, dass die Aufforderung an Unternehmen, interne Untersuchungen anzustellen und ein geeignetes Compliance-Management-System einzuführen, ausreichend honoriert werden. Bei der Strafmilderung des VerSanG-E handelt es sich ausdrücklich um eine „Soll“-Vorschrift. Dem Gericht wird durch diesen Wortlaut kein allgemeiner Ermessensspielraum mehr gewährt.
Den Unternehmen ist dringend zu empfehlen, angemessene Vorkehrungen zur Vermeidung von Verbandstaten zu implementieren und in ein umfangreiches Compliance-Mangement-System zu investieren. Dies kann beispielsweise dadurch geschehen, dass aufgrund einer besseren Organisationsstruktur Transparenz gefördert wird und die Mitarbeiter unter Anleitung und Aufsicht des Verbandes tätig werden.