Gesetz gegen digitale Gewalt: Bundesjustizministerium veröffentlicht Eckpunktepapier
Im Koalitionsvertrag der amtierenden Bundesregierung findet sich das Vorhaben, ein Gesetz gegen digitale Gewalt zu verabschieden. Justizminister Marco Buschmann stellte dazu im April diesen Jahres ein entsprechendes Eckpunktepapier vor. Das Gesetz soll Rechtsverletzungen im digitalen Raum bekämpfen und es Betroffenen erleichtern, ihre Rechte durchzusetzen. Im Folgenden stellen wir die geplanten Regelungen zur verbesserten Rechtsdurchsetzung aus dem Eckpunktepapier vor.
Ziele des neuen Gesetzes gegen digitale Gewalt
Die Absichtserklärung des Justizministeriums geht davon aus, dass es schwierig ist, bei Rechtsverletzungen im digitalen Raum gerichtlichen Rechtsschutz zu erlangen. Vor allem bei Persönlichkeitsrechtsverletzungen im Internet (hierauf bezieht sich der Begriff ‚digitale Gewalt‘) scheitere die Rechtsdurchsetzung oft bereits daran, dass Betroffene keine Informationen über die Verfasserin oder den Verfasser der rechtsverletzenden Inhalte haben. Das geplante Gesetz konzentriert sich nicht auf neue staatliche Befugnisse, sondern soll die private Rechtsdurchsetzung erleichtern. Es werden keine neuen inhaltlichen Regelungen dazu getroffen, wann Äußerungen im Netz rechtswidrig sind, hier gilt die bisherige Rechtslage fort.
Demgegenüber ist es verwunderlich, dass das Gesetz – anders als der Begriff ‚Gewalt‘ im Namen suggeriert – nicht nur bei Handlungen wie Beleidigungen oder Bedrohungen von Privatpersonen einschlägig sein soll. Ergänzend ist geplant, dass private Auskunftsverfahren bei allen Verletzungen sogenannter absoluter Rechte angestrengt werden können. Das umfasst beispielsweise auch das allgemeine Persönlichkeitsrecht, das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb und Urheberrechte. Zudem soll der Umfang an Daten, die erfragt werden können, erweitert werden. Und auch die nicht öffentliche Kommunikation, beispielsweise über Messenger-Dienste, soll mit eingebunden werden. Damit könnte es künftig auch möglich sein, dass bereits bei dem bloßen Verdacht von falschen Behauptungen über Unternehmen sensible Daten gesammelt und herausgegeben werden müssen. Als problematisch anzusehen ist, dass aufgrund einer mangelhaften Datenlage das Ausmaß des Problems der digitale Gewalt zur Zeit nicht zuverlässig beziffert werden kann: die polizeiliche Kriminalstatistik enthält keine eigene Kategorie für digitale Gewalt (vertieft bei Netzpolitik.org). Deutlich wird bei näherer Untersuchung der geplanten Änderungen, dass hier nicht nur die Bedeutung von Gewalt aufgeweicht und relativiert wird, sondern auch der Umfang und die spezifische Ausprägungen der Problematik digitale Gewalt mangels zuverlässiger Quellen teilweise nur unzureichend berücksichtigt werden.
Schwerpunkt: Stärkung privater Auskunftsverfahren
Elementarer Bestandteil der Gesetzesänderung soll zunächst ein erleichterter Zugang zu Informationen über die Identität von Inhalteverfassern für die Betroffenen sein. Dafür soll das private Auskunftsverfahren ausgebaut werden. Beim Auskunftsverfahren handelt sich um ein zivilgerichtliches Verfahren, bei dem Betroffene gegenüber den Diensteanbietern Auskunft über die Identität der rechtsverletzenden Person einfordern können. Es ist nachvollziehbar, dass erweiterte Auskunftspflichten ermöglicht werden, jedoch bestehen zugleich Bedenken, dass künftig Anbieter eine Vielzahl personenbezogener Informationen an Dritte weitergeben.
Das Eckpunktepapier zeigt, wie weitgehend künftig Daten an Privatpersonen oder Unternehmen herausgegeben werden könnten: Bisher konnten nach § 21 des Gesetzes über den Datenschutz und den Schutz der Privatsphäre in der Telekommunikation und bei Telemedien (TTDSG) nur Bestandsdaten (Informationen wie E-Mail-Adressen oder Namen) abgefragt werden. Künftig sollen darüber hinaus auch Nutzungsdaten herausgegeben werden, da laut Bundesministerium für Justiz (BMJ) Namen und E-Mail-Adressen im Netz häufig falsch oder gar nicht angegeben werden. Nutzungsdaten umfassen beispielsweise die IP-Adresse, die in vielen Fällen für eine erfolgreiche Rechtsverfolgung erforderlich ist. Gleichzeitig enthalten Nutzungsdaten gegenüber Bestandsdaten auch deutlich sensiblere Daten.
Nach aktueller Rechtslage in § 21 TTDSG können Betroffene von rechtswidrigen Inhalten von Betreibern von Telemedien Auskunft über die Identität von Verfassern verlangen. Laut dem Eckpunktepapier sollen nunmehr auch Telekommunikationsunternehmen verpflichtet werden. Telemedien sind beispielsweise soziale Netzwerke, Blogs oder Online-Suchmaschinen. Von Telekommunikationsdiensten umfasst sind Messenger- und Internetzugangsdienste. Hintergrund der angestrebten Änderung ist, dass Telemedienunternehmen häufig nur Auskunft über die IP-Adresse selber geben können. Die Identität eines Internetnutzers kann jedoch nur zuverlässig bestimmt werden, wenn über den Internetzugangsanbieter die IP-Adresse zu der dahinterstehenden Person zugeordnet wird.
Effektive Ausgestaltung des Auskunftsverfahrens
Weitergehend soll das Auskunftsverfahren über die Verfasserdaten effektiver gestaltet werden. Hierbei steht die Stärkung der Beweissicherung im Vordergrund. Die Diensteanbieter sollen unter bestimmten Voraussetzungen angewiesen werden, präventiv potenziell relevante Bestands- und Nutzungsdaten zu sammeln und nicht zu löschen. Gleichzeitig sollen Diensteanbieter unter bestimmten Umständen auch schon vor Abschluss des Auskunftsverfahren verpflichtet sein, gegenüber dem Gericht bestimmte Daten offenzulegen. Bei ‚offensichtlichen Rechtsverletzungen‘ sollen über einstweilige Anordnungen die Auskunft des Diensteanbieters über relevante Daten noch beschleunigt werden.
Zusätzlich soll der Verfahrenshergang auch durch verschiedene praktische Erleichterungen wie Videoverhandlungen, Kostenfreiheit des Gerichtsverfahrens und Zuständigkeitsbündelung bei einem Landgericht effektiviert werden. Schließlich sollen die Diensteanbieter im Sinne einer höheren Rechtssicherheit durch Betroffene besser erreichbar sein, indem sie Zustellungsbevollmächtigte bestimmen.
Neues Instrument: Accountsperren
Nicht zuletzt sieht das Eckpunktepapier auch ein völlig neues Instrument vor. Bei schwerwiegenden Persönlichkeitsverletzungen soll unter bestimmten Voraussetzungen ein Anspruch auf Sperrung des rechtsverletzenden Accounts bestehen. Die Accountsperren sollen als Anordnung durch das Gericht gegenüber dem Diensteanbieter ergehen und vor allem bei notorischen Rechtsverletzern Abhilfe schaffen. Da diese Maßnahme besonders eingriffsintensiv ist, sollen hier strenge Voraussetzungen gelten, insbesondere sollen die Sperren auf einen angemessenen Zeitraum beschränket sein und der Accountinhaber soll vorab die Möglichkeit zur Stellungnahme erhalten.
Das Instruments wird jedoch von Experten wie der gemeinnützigen Organisation HateAid aufgrund von fehlender praktischer Relevanz kritisiert. Verfasser von rechtswidrigen Inhalten könnten sich schnell ein neues Profil erstellen.
Fazit zum Gesetz gegen digitale Gewalt
Das Eckpunktepapier für ein Gesetz gegen digitale Gewalt des Bundesjustizministeriums zielt darauf ab, Rechtsverletzungen im digitalen Raum zu bekämpfen und Betroffenen die Durchsetzung ihrer Rechte zu erleichtern. Der Schwerpunkt liegt auf der Stärkung privater Auskunftsverfahren, die den Zugang zu Informationen über die Identität von Inhalteverfassern erleichtern sollen. Bisherige Pflichten zur Herausgabe von Nutzerdaten aus dem TTDSG sollen in umfangreicher Weise ausgeweitet werden. Das private Auskunftsverfahren soll sich künftig neben öffentlichen auch auf nicht öffentliche Inhalte erstrecken und auch bei Verletzungen absoluter Rechte, wie dem Allgemeinen Persönlichkeitsrecht und Urheberrechten, eingeleitet werden können.
Im Ergebnis könnte das Vorhaben des BMI bedeuten, dass Unternehmen verpflichtet werden, Daten in umfangreicher Weise zu bereitzuhalten und herauszugeben. Solche gesetzlichen Vorgaben wären mit datensparsamen Geschäftsmodellen von Messenger-Diensten wie Signal oder Threema unvereinbar. Nach den Vorschlägen des Eckpunktepapiers müssten sensible Daten schon bei Verdachtsmomenten für eine große Bandbreite von Rechtsverletzungen herausgegeben werden.
Das Ansinnen des Gesetzes ist grundsätzlich sinnvoll, soweit es um die Unterstützung von Privatpersonen bei Hass im Netz geht. Jedoch geht der Entwurf deutlich weiter: angeblich unzutreffende Restaurantkritiken oder urheberrechtsverletzende Chatnachrichten haben mit digitaler Gewalt nichts zu tun und sind in dem Gesetzesentwurf eigentlich ein Fremdkörper. Der Fokus sollte vertieft auf Opfer von tatsächlicher Gewalt im Netz gelegt werden, beispielsweise durch Beleidigungen oder Drohungen. Hier könnten andere Instrumente bei der Durchsetzung ihrer Rechte helfen: So fordern die Gesellschaft für Freiheitsrechte und auch HateAid beispielsweise, dass zivilgesellschaftliche Organisationen Verfahren anstrengen können. Zudem plant das BMI zwar ein kostenfreies Gerichtsverfahren, die im Auskunftsverfahren anfallenden Anwaltskosten könnten aber weiterhin eine Hürde darstellen. Insgesamt zeigt das Eckpunktepapier, dass das geplante Gesetz weitreichende Änderungen für die Rechtsdurchsetzung im digitalen Raum vorsieht, jedoch auch kontroverse Punkte enthält, die weiterer Diskussion bedürfen.
Ihr Experte für Datenschutzrecht
Dr. Matthias Lachenmann, Rechtsanwalt und Partner
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