Die Selbstbindung des öffentlichen Auftraggebers zwingt zum Ausschluss unauskömmlicher Angebote
Drum prüfe, wer sich selber bindet…
VK Bund, Beschluss vom 07.11.2023 – VK 2-80/23
Gegenstand der streitgegenständlichen Vergabe waren Reinigungsdienstleistungen, deren einziges Zuschlagskriterium der Preis sein sollte. In den Vergabeunterlagen wurden umfangreiche Vorgaben zur Prüfung der Auskömmlichkeit der Angebote gemacht. Dort hieß es unter anderem:
„Angebote, die als nicht auskömmlich erachtet werden, sind zwingend von einer Vergabe auszuschließen.“
Die Beigeladene (Bg) gab das günstigste Angebot ab. Der Antragsgegnerin (Ag) erschienen Gesamtpreis und Stundenverrechnungssatz ungewöhnlich niedrig, so dass sie Aufklärung verlangte. Hier gab die Bg unter anderem an, dass sie den ausgeschriebenen Standort als Referenzkunden gewinnen wolle. Bei der viertplatzierten Antragstellerin (ASt) erfolgte ebenfalls aufgrund ungewöhnlich niedriger Stundenverrechnungssätze eine Preisaufklärung. Nach umfangreicher Prüfung und Aufklärung (inklusive eines zurückgenommenen Nachprüfungsantrags) der Angebote stellte die Ag fest, dass die Bg trotz erwiesener Unauskömmlichkeit zur Durchführung des Auftrags finanziell imstande wäre und teilte Ihre Absicht, der Bg den Zuschlag zu erteilen, mit Schreiben gem. § 134 GWB der ASt mit.
Hiergegen hat die ASt erfolgreich Nachprüfung beantragt. Dem stand zunächst nicht die nachrangige Platzierung der ASt entgegen. Hierfür ließ die Vergabekammer ausreichen, dass bei unterstelltem Ausschluss des Angebots der Bg eine neue Mitteilung nach § 134 GWB an die unterlegenen Bieter erforderlich gewesen wäre. Auch wenn der Erhalt des Auftrags für die viertplatzierte ASt nicht wahrscheinlich sei, liege die Antragsbefugnis dennoch vor.
Daneben war der Nachprüfungsantrag auch begründet. Zwar ergebe sich aus § 60 Abs. 3 S. 1 VgV, dass auch ein nicht auskömmliches Angebot angenommen werden könne, dann müsse aber der Ag sein Ermessen umfassend ausüben und insbesondere die typischen Gefahren abwägen, die mit einem solchen Angebot üblicherweise verbunden sind. Vorliegend habe der Ag bereits die Gefahr einer Unterschreitung des zeitlichen Leistungsansatzes ermessensfehlerhaft nicht in seine Erwägungen eingestellt. Entscheidend sei jedoch, dass der Ag bereits in den Vergabeunterlagen sein Ermessen in der Weise ausgeübt habe, dass unauskömmliche Angebote automatisch von der Vergabe ausgeschlossen würden. Durch diese Selbstbindung sei eine nachträgliche Abweichung ausgeschlossen.
Praxishinweis:
Insbesondere wegen der prozessualen Gesichtspunkte ist die Entscheidung interessant. Die Kammer greift auf, dass die ASt selbst wegen der Unauskömmlichkeit ihres Angebots eigentlich auszuschließen wäre. Es wäre aber gleichheitswidrig, der ASt einerseits wegen des Ausschlusses Rechtsschutz zu versagen und gleichzeitig einem ebenfalls nicht auskömmlichen Angebot den Zuschlag zu erteilen.
Daneben verbindet die Entscheidung zwei vergaberechtliche Problematiken im Rahmen der Ermessensausübung: Einerseits ist es Teil der Ermessensausübung eines Auftraggebers nach Feststellung der Unauskömmlichkeit zu entscheiden, ob der Zuschlag dennoch erfolgen kann und soll. Wenn der Auftraggeber indes sein Ermessen bereits vorher ausübt, kann er hiervon im Nachgang der Entscheidung aufgrund des Grundsatzes der Selbstbindung nicht mehr abrücken.
Die Vergabekammer ruft jedenfalls in Erinnerung, dass der Ausschluss eines Angebots mangels Auskömmlichkeit zwar naheliegend ist, aber nicht automatisch erfolgt.
Auftraggeber müssen also abschätzen, ob sie sich den Zuschlag auf ein nicht auskömmliches Angebot offenhalten oder eine Ermessensentscheidung im Nachgang ersparen möchten.
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Niklas Horn, Associate und Rechtsanwalt,
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