Unverzüglichkeitserfordernis für Rüge Gemeinschaftsrechtswidrig!
Das Unverzüglichkeitserfordernis für vergaberechtliche Rügen nach § 107 Abs. 3 Nr. 1 GWB ist wohl gemeinschaftsrechtswidrig – so jedenfalls die allgemeine Auffassung in der deutschen Literatur als Reaktion auf die Entscheidungen des EuGH vom 28.01.2010 – Rs. C-456/08 und vom 28.01.2010 – Rs. C-406/08.
Wie gelangt man zu dieser Einschätzung, wo es vor dem EuGH doch gar nicht um unsere deutsche Rügefrist ging?
Der EuGH hatte in der Rs. C-406/08 nämlich über eine ähnliche britische Vorschrift zu entscheiden, welche allerdings bestimmt dass ein Nachprüfungsverfahren „unverzüglich, spätestens jedoch innerhalb von drei Monaten nach dem Eintreten des ersten Grundes“ einzuleiten ist. Der EuGH entschied in Rn. 43, dass die Rechtsmittelrichtlinie einer „nationale Bestimmung wie der im Ausgangsverfahren fraglichen entgegensteht, auf deren Grundlage ein nationales Gericht einen Nachprüfungsantrag, der auf die Feststellung eines Verstoßes gegen die Vorschriften über die Vergabe öffentlicher Aufträge oder auf die Erlangung von Schadensersatz wegen Verstoßes gegen diese Vorschriften gerichtet ist, in Anwendung des nach Ermessen beurteilten Kriteriums der Unverzüglichkeit der Verfahrenseinleitung wegen Fristversäumnis zurückweisen kann.“ Das Rügeerfordernis darf also nicht dazu führen, dass die rechtliche Überprüfung eines Vergaberechtsverstoßes unangemessen verkürzt wird. Dies gebietet der Effektivitätsgrundsatz des Gemeinschaftsrechts. Grund hierfür sei, dass der Begriff „Unverzüglichkeit“ zu unbestimmt sei.
Dieses Ergebnis ist durchaus auf § 107 Abs. 3 GWB übertragbar, da auch dort keine feste Frist steht, sondern auf die Unverzüglichkeit Bezug genommen wird. In der Tat ist es unbestritten so, dass die Rechtsprechung in Deutschland uneinheitlich ist, was noch als „unverzüglich“ gilt. Insofern ist § 107 Abs. 3 GWB mit guten Gründen als gemeinschaftsrechtswidrig anzusehen. Was das bedeutet, sagt der EuGH in Rn. 49 des Urteils: „Können die innerstaatlichen Bestimmungen über die Fristen für die Verfahrenseinleitung nicht im Einklang mit der Richtlinie 89/665 ausgelegt werden, muss das nationale Gericht sie jedenfalls unangewendet lassen, damit das Gemeinschaftsrecht in vollem Umfang Anwendung findet und die Rechte, die es dem Einzelnen verleiht, geschützt werden (vgl. in diesem Sinne Urteile Santex, Randnr. 64, und Lämmerzahl, Randnr. 63).“
Um dieses Rechtsvakuum aufzufangen ist in der Praxis zu empfehlen, in der Bekanntmachung und in den Vertragsunterlagen die „Unverzüglichkeit“ zu konkretisieren, also etwa eine bestimmte Frist anzugeben, in welcher der Fehler zu rügen ist.