EuGH präzisiert das Kontrollkriterium bei In-House Vergaben
Der EuGH entschied am 10.09.2009 in dem komplexen Rechtsstreit zwischen Sea Srl und einer italienischen Gemeinde (Rs. C-573/07), dass auch dann eine Vergabe ohne Ausschreibung an eine Kapitalgesellschaft mit vollständig öffentlichem Kapital erlaubt ist, wenn die Möglichkeit einer Beteiligung privaten Kapitals besteht. Das Gericht führte zur Bewertung dieser Konstellation aus, dass grundsätzlich der Zustand zum Zeitpunkt der Vergabe entscheidend für die Bewertung sei. Auch sei es zu berücksichtigen, wenn das nationale Recht eine konkrete Möglichkeit für die baldige Öffnung für Fremdkapital vorsieht. Ausnahmsweise sind auch die Zustände nach der Vergabe maßgeblich, wenn bspw. unmittelbar im Anschluss an die Vergabe Anteile wieder übertragen werden, damit im Vorfeld der Vergabe die Vorschriften umgangen werden konnten. Allerdings erfordere es die Rechtssicherheit, dass die Charakterisierung nicht zu einem willkürlichen Zeitpunkt stattfindet. Anders wäre die Lage zu beurteilen, wenn zu einem Zeitpunkt nach einer Vergabe ohne Ausschreibung, aber innerhalb des Auftragszeitraums, private Beteiligung zugelassen würde. Dann wäre dies eine eine Ausschreibung erfordernde Änderung einer grundlegenden Bedingung des Auftrags.
Allgemein vergaberechtlich relevant ist das Urteil, da der EuGH das In-House-Kriterium der „Kontrolle wie über eine eigene Dienststelle“ näher erläutert. Entscheidende Passage des Urteils ist m.E. Rz. 51:
„Daher lässt in einer Situation wie der des Ausgangsverfahrens, in der das Grundkapital der den Zuschlag erhaltenden Gesellschaft vollständig aus öffentlichem Kapital besteht und kein konkreter Hinweis auf eine baldige Öffnung des Grundkapitals dieser Gesellschaft für private Teilhaber vorliegt, die bloße Möglichkeit einer Beteiligung von Privatpersonen am Kapital dieser Gesellschaft noch nicht den Schluss zu, dass die Voraussetzung einer Kontrolle durch die öffentliche Stelle nicht erfüllt wäre.“
Etwas anderes, nämlich die Ausschreibungspflicht soll allerdings erfolgen, wenn „zu einem späteren Zeitpunkt, aber immer noch innerhalb der Gültigkeitsdauer des Auftrags, Privatpersonen zur Beteiligung am Grundkapital der genannten Gesellschaft zugelassen würden.“ (Rz. 53). Schließlich bestätigt der EuGH seine Rechtsprechung in Sachen Asemfo und Coditel, dass nämlich eine gemeinsame Kontrolle öffentlicher Auftraggeber ausreicht, das Kontrollkriterium zu bejahen (Rz. 56-58) und fasst dies in Rz. 59 zusammen:
„Es ist daher die Möglichkeit zuzulassen, dass, wenn mehrere öffentliche Stellen die Anteile an einer Gesellschaft halten, der sie die Wahrnehmung einer ihrer gemeinwirtschaftlichen Aufgaben übertragen, diese Stellen ihre Kontrolle über diese Gesellschaft gemeinsam ausüben können (vgl. in diesem Sinne Urteil Coditel Brabant, Randnr. 50).“
Eine Grenze scheint sich jedoch aus dem Tenor des Urteils zu ergeben. Danach muss sich die Tätigkeit der (gemeinsam von den öffentlichen Auftraggebern begründeten) Gesellschaft auf dem Gebiet der öffentlichen Auftraggeber begrenzen und die Tätigkeit muss im Wesentlichen für die öffentlichen Auftraggeber ausgeübt werden. Die Begrenzung auf das gemeinsame Gebiet sowie das Wesentlichkeitskriterium werden von dem EuGH also differenziert betrachtet. Die Begrenzung auf das gemeinsame Gebiet ordnet der EuGH dem Kontrollkriterium zu. Daraus ist wohl zu folgern, dass in dem Augenblick, in welchem die Gesellschaft über die gemeinsamen Grenzen hinweg eine Tätigkeit ausübt, das Kontrollkriterium nicht mehr vorliegt und somit kein In-House-Geschäft. Die Tätigkeit ist dann an dem Wesentlichkeitskriterium gar nicht mehr zu überprüfen. Diese (naheliegende) Interpretation wirft neuen Fragen auf, nämlich in welchem Verhältnis diese Einschränkung mit den kommunalwirtschaftlichen Vorschriften über die gemeindliche Tätigkeit in den einzelnen Bundesländern steht.