Der EuGH hat die Zusammenarbeit zwischen Kommunen und anderen staatlichen Stellen durch das Urteil vom 09.06.2009 erheblich erleichtert
Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat die Zusammenarbeit zwischen Kommunen und anderen staatlichen Stellen durch das Urteil vom 09.06.2009 (C-480/06) erheblich erleichtert, dafür aber auch zahlreiche neue Rechtsfragen aufgeworfen. Eine kritische Stellungnahme:
I. Sachverhalt
Die vier niedersächsischen Landkreise Rotenburg (Wümme), Harburg, Soltau-Fallingbostel und Stade schlossen am 18.12.1995 mit der Stadtreinigung Hamburg einen Vertrag über die Entsorgung ihrer Abfälle in der neuen Müllverbrennungsanlage Rugenberger Damm, die mit einer Kapazität von 320.000 Tonnen jährlich sowohl Elektrizität als auch Wärme produzieren und am 15.April 1999 fertig gestellt werden sollte. Nach diesem Vertrag reserviert die Stadtreinigung Hamburg den vier Landkreisen eine Kapazität von 120 000 Tonnen zu einem für alle nach der gleichen Formel berechneten Preis. Die Vergütung wird über die Stadtreinigung Hamburg an den Betreiber der Anlage, der ihr Vertragspartner ist, gezahlt. Der Vertrag wurde von den vier Landkreisen ohne Durchführung des in der Richtlinie 92/50 vorgesehenen Ausschreibungsverfahrens direkt mit der Stadtreinigung Hamburg abgeschlossen.
II. Stellungnahme
Würde man nach bisheriger Rechtslage schulmäßig prüfen, so wären nach dem Wortlaut zunächst die Voraussetzungen eines öffentlichen Auftrags gem. § 99 GWB gegeben, da ein entgeltlicher Vertrag zwischen einem öffentlichen Auftraggeber und einem Unternehmen, also zwischen zwei voneinander unterschiedlichen Rechtspersonen, vorlag. Eine Ausnahme hierzu sah der EuGH bislang allerding dann vor, wenn die sog. Teckal-Kriterien (Rs. C-107/98) vorlagen und somit ein sog. In-House-Geschäft. Der Leitsatz des EuGH in der Sache Teckal sei an dieser Stelle noch einmal in Erinnerung gerufen:
„Dies ist nicht der Fall (Anmk. Verfasser: es liegt kein öffentlicher Auftrag vor), wenn die Gebietskörperschaft über die rechtlich von ihr verschiedene Person eine Kontrolle ausübt wie über ihre eigenen Dienststellen und wenn diese Person ihre Tätigkeit im wesentlichen für die Gebietskörperschaft oder die Gebietskörperschaften verrichtet, die ihre Anteile innehaben.“
Später hat der EuGH bestätigt, dass für das Kontrollkriterium eine gemeinsame Kontrolle genügt (Urteil v. 13.11.2008, Rs. C-324/07, „Coditel“). Im nun zu entscheidenden Fall lagen die Teckal-Kriterien aber offenbar nicht vor. Der EuGH hierzu in Rn. 36:
„Im vorliegenden Fall ist jedoch unstreitig, dass die vier Landkreise weder über ihren Vertragspartner, die Stadtreinigung Hamburg, noch über den Betreiber der Müllverbrennungsanlage Rugenberger Damm, eine Gesellschaft, deren Kapital teilweise aus Privatvermögen besteht, eine Kontrolle ausüben, die als eine ähnliche Kontrolle wie die über ihre eigenen Dienststellen charakterisiert werden könnte.“
Selbst wenn man über den Entsorgungsvertrag mit der Stadtreinigung Hamburg eine Kontrolle konstruieren könnte, so würde die In-House-Fähigkeit spätestens daran scheitern, dass die vier niedersächsischen Landkreise keine Anteile an der Stadtreinigung Hamburg innehaben. Hierfür hätten sie einen Zweckverband oder ähnliches gründen müssen – was auch möglich gewesen wäre. Gleichwohl hat der EuGH einen öffentlichen Auftrag im Ergebnis verneint und damit eine weitere Ausnahme geschaffen, die neben die Ausnahme der Teckal-Kriterien tritt. Die Voraussetzungen dieser Ausnahme lassen sich aus Rn. 44 ablesen:
„Damit steht fest, dass der beanstandete Vertrag sowohl die Rechtsgrundlage als auch den Rechtsrahmen für die zukünftige Errichtung und den Betrieb einer Anlage bildet, die für die Erfüllung einer öffentlichen Aufgabe – der thermischen Abfallverwertung – bestimmt ist. Der Vertrag wurde ausschließlich zwischen öffentlichen Stellen ohne Beteiligung Privater geschlossen, sieht keine Vergabe eventuell erforderlicher Aufträge über den Bau und den Betrieb der Anlage vor und präjudiziert sie auch nicht.“
Fasst man die Tatbestandmerkmale der Ausnahme zusammen, so lauten diese:
– Vertrag
– zwischen öffentlichen Stellen ohne Beteiligung Privater
– zur Erfüllung einer öffentlichen Aufgabe
– noch unklar: die Erfüllung der Aufgabe muss in einer gemeinsamen Aufgabenerfüllung liegen, d.h. ein Vertrag, der in die eine Leistungsrichtung lediglich eine Geldleistung vorsieht, genügt nicht.
Der neue Ausnahmetatbestand ist sehr weitgehend, so dass vorhersehbar ist, dass sich die zukünftige Diskussion verstärkt um die Frage drehen wird, ob es sich bei der jeweiligen Tätigkeit um eine öffentliche Aufgabe handelt. Hier werden sich neue Abgrenzungsfragen ergeben. Die Teckal-Kriterien wurden aufgestellt, um eine Grenze zwischen interstaatlicher Zusammenarbeit und den wettbewerblichen Interessen der gewerblichen Unternehmen oder zwischen dem „Zwang zur Privatisierung“ und „Wettbewerb“ zu ziehen. Diese Grenze ist nun aufgehoben, so dass vor dem Hintergrund der neuen Entscheidung des EuGH davon auszugehen ist, dass die Teckal-Kriterien in Zukunft nur noch dort eine eigenständige Bedeutung haben werden, wo die Tätigkeit nicht im öffentlichen Interesse liegt, was selten der Fall sein wird. Der EuGH liefert für das Verhältnis seiner neuen Rechtsprechung zu den Teckal-Kriterien leider keine wertvollen Hinweise. Die Begründung liest sich dafür allzu ergebnisorientiert und ohne dogmatisch erkennbare Linie; dabei hätte es durchaus gewichtige Argumente gegeben, die das Ergebnis des EuGH stützen könnten, wie etwa der unterschiedliche Staatsaufbau in den Mitgliedstaaten. Der EuGH hätte auch noch weiter erläutern können, dass und weshalb er keinen Unterschied sieht zwischen der Gründung eines Zweckverbandes und der direkten Aufgabenerteilung. Bei näherer Betrachtung sind diese Fälle nämlich durchaus unterschiedlich zu behandeln, was der EuGH bereits in Teckal erkannt hatte, nun aber vergessen zu haben scheint. Das Urteil bedeutet nun nämlich, dass jede öffentliche Stelle in der Bundesrepublik Deutschland eine andere mit Aufgaben betrauen kann, ohne überlegen zu müssen, ob der Auftrag ausgeschrieben werden müsste. So kann etwa eine Gemeinde in Bayern ein kommunales Unternehmen in Niedersachsen, das sich auf IT-Systeme für Kommunalsoftware spezialisiert hat, mit der Errichtung der IT-Infrastruktur beauftragen oder das städtische Krankenhaus in Berlin kann für Schulungsmaßnahmen seines Personals auf Ausbilder in Nordrhein-Westfalen zurückgreifen. Dass damit eine öffentliche Aufgabe erfüllt werden soll, lässt sich fast immer begründen. Hier werden nun andere Grenzen als die des Vergaberechts wieder zunehmend relevant, nämlich die des UWG, des Kartellrechts sowie des kommunalen Wirtschaftsrechts.