Corona-Warn-App: Nutzungszwang für Arbeitnehmer?
Bei der Bekämpfung der Ausbreitung der Corona-Pandemie setzt nun auch Deutschland auf die neu eingeführte „Corona-Warn-App“. Durch die Politik wurde stets betont, dass die Nutzung der App freiwillig sei. Doch bereits jetzt möchten immer mehr Arbeitgeber ihre Mitarbeiter dazu zwingen, die App zu nutzen – was rechtlichen Bedenken begegnet. Wir nehmen eine kurze Einordnung der Rechtslage vor.
1. Wie funktioniert die Corona-Warn-App?
Das Konzept der Corona-Warn-App ist einfach erklärt: Allen App-Nutzern werden wechselnde IDs zugeteilt: pro Tag ein Tagesschlüssel und daraus abgeleitete, alle 10 – 20 Minuten neu generierte sog. Rolling Proximity Identifiers (RPI), die alle 5 Minuten für je 2 Sekunden versendet werden. Es werden also Pseudonyme eingesetzt, die grundsätzlich keinen Rückbezug auf individuelle Personen erlauben. Wird eine Person positiv auf Covid-19 getestet, so kann sie nun über die App eine Meldung absetzen. Über Positivschlüssel im Falle eines positiven Tests erlauben die IDs für 2 Wochen einen pseudonymisierten Rückbezug. ohne dass die gewarnte Person über die App erfährt, welcher Kontakt infiziert ist (ausführlich zur Technik siehe den Bericht zur Datenschutz-Folgenabschätzung). Ziel der Anwendung ist es, die Infektionsketten zu unterbrechen. Der Vorteil gegenüber der manuellen Kontaktnachverfolgung durch die Gesundheitsämter soll ein erheblicher Geschwindigkeitszuwachs sein.
Dabei betont die Bundesregierung auf der Internetseite zur Corona-Warn-App, dass die Nutzung der App auf freiwilliger Basis erfolgt und dem persönlichen Schutz des Nutzers sowie der Mitbürger dient. Die gesellschaftliche (Un-)Freiwilligkeit („Staat zwingt alle Bürger zur Nutzung“) muss also von der individuellen (Un-)Freiwilligkeit (z.B. Arbeitgeber zwingt Arbeitnehmer zur Nutzung; ein Ehepartner zwingt seine*n Partner*in zur Nutzung) unterschieden werden. Diskutiert wird derzeit, ob ein Unternehmen die Mitarbeiter auffordern kann, die App zum Schutz aller Kolleginnen und Kollegen zwingend/freiwillig zu installieren. Das ist nach allgemeinen Wertungen der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) und des Beschäftigtendatenschutzes zu bewerten.
2. Das Weisungsrecht des Arbeitgebers und der Beschäftigtendatenschutz
§ 106 S. 1 GewO statuiert das – auch Direktionsrecht genannte – Weisungsrecht des Arbeitsgebers. Auf dieser Grundlage ist es Arbeitgebern grundsätzlich möglich, Mitarbeiter zu verpflichten, die Corona-Warn-App zu nutzen. Die Vorschrift sieht vor, dass
„[d]er Arbeitgeber […] Inhalt, Ort und Zeit der Arbeitsleistung nach billigem Ermessen näher bestimmen [kann], soweit diese Arbeitsbedingungen nicht durch den Arbeitsvertrag, Bestimmungen einer Betriebsvereinbarung, eines anwendbaren Tarifvertrages oder gesetzliche Vorschriften festgelegt sind.“
Ob die Erteilung einer solchen Weisung zulässig ist, hängt von den gesetzlichen Vorgaben des Beschäftigtendatenschutzes ab. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG, Beschluss vom 15.4.2014 – 1 ABR 2/13), die auch unter Geltung der DSGVO Anwendung finden soll, dürfen Arbeitnehmer grundsätzlich durch Arbeitgeber zur Durchführung und Duldung datenschutzrelevanter Maßnahmen angewiesen werden, wenn eine Verhältnismäßigkeitsprüfung zum Ergebnis führt, dass die mit der Maßnahme verbundenen schützenswerten Belange des Arbeitgebers gegenüber den dadurch hinzunehmenden Einschränkungen des Persönlichkeitsrechts des Arbeitsnehmers überwiegen. Unzulässig ist beispielsweise eine vollständige Überwachung eines jeden Schritts der Mitarbeiter (so z.B. das Keylogger-Urteil des BAG v. 27.7.2017 – 2 AZR 681/16). Im Falle der Verwendung der Corona-Warn-App stehen sich regelmäßig folgende Interessen gegenüber:
• Interesse der Mitarbeiter an der Verweigerung der Installation der App (allgemeines Persönlichkeitsrecht): Trotz einer geringen datenschutzrechtlichen Belastung, dürfen die Bürger die Nutzung der App grundsätzlich verweigern. Das ist ihr Recht, sei es auf Grundlage des Datenschutzes oder des allgemeinen Persönlichkeitsrechts und Privatsphärenschutzes.
• Interessen der Arbeitgeber am einfachen und effektiven Schutz der Mitarbeiter durch die App: Ein Unternehmen kann das Interesse am Gesundheitsschutz der Belegschaft, Geschäftspartnern und Kunden sowie eigene betriebswirtschaftliche Interessen geltend machen.
3. Mögliche App-Installationspflicht auf dem Dienstsmartphone
Stellen Arbeitgeber ihren Mitarbeitern Dienstsmartphones zur Verfügung, so liegt es prinzipiell in der Hand der Arbeitgeber, darüber zu bestimmen, wie die vom Arbeitgeber angeschafften Betriebsmittel durch die Mitarbeiter genutzt werden. Dies kann auch die Nutzung bestimmter Apps einschließen, sofern deren Nutzung betrieblichen Interessen dient und nicht unzulässig in die Rechte der Arbeitnehmer eingreift. Die Wertung der Zulässigkeit einer Pflicht zur App-Nutzung ist vor diesem Hintergrund auf Basis der Interessenabwägung nach § 26 Abs. 1 BDSG zu treffen.
Diese Interessen sind gegeneinander abzuwägen, wobei der Ausgang der Interessenabwägung von folgenden Fragen abhängt:
• Ist die Pflicht zur Nutzung der Corona-Warn-App geeignet, das verfolgte Interesse zu unterstützen? Die Warnung der App vor einer möglichen Infektion, kann Arbeitnehmer vom Gang zur Arbeit abhalten und im Falle eines positiven Befunds die Kontaktpersonen warnen, ohne dass die Personen namentlich bekannt sind. So können Mitarbeiter und Kunden vor Infektionen geschützt werden.
• Gibt es keine milderen Maßnahmen, die sich genauso eignen die verfolgten Interessen abzusichern? An dieser Stelle könnten Arbeitgeber u.a. auf die Einführung einer Maskenpflicht, räumliche Trennung, Homeoffice, Desinfektionsmaßnahmen und Einhaltung räumlichen Abstands oder betriebsinterne Testmaßnahmen verwiesen werden.
Unter Beachtung der zuvor genannten Punkte könnte die Erforderlichkeit zur Einführung einer Nutzungspflicht der Corona-Warn-App beispielsweise bestehen, wenn eine unerkannte Infektion alle Kontakte des Unternehmens gefährden würde, Mitarbeiter mit vielen Kollegen und/oder Kunden Kontakt haben oder ein Geschäftslokal, z.B. ein Sanitätshaus, von Risikogruppen frequentiert wird. Dies ist bei Mitarbeitern in Supermärkten, in der fertigenden Industrie, in Großraumbüros sowie insbesondere bei Mitarbeitern in Altenheimen denkbar. Dabei können auch die Landesverordnungen zum Schutz vor Corona berücksichtigt werden. Beispielsweise wird für Arbeitgeber in NRW nach § 4 Abs. 1 Corona-VO NRW festgelegt, dass alle Arbeitgeber eine sog. Einfache Rückverfolgbarkeit sicherzustellen haben, ansonsten werden keine konkreten Pflichten zur Nachverfolgbarkeit von Kontakten zwischen den Mitarbeiter*innen auferlegt. Das heißt, dass nach § 2a Abs. 1 Corona-VO NRW alle anwesenden Personen mit Kontaktdaten und – bei wechselnden Personenkreisen, also nicht bei Arbeitnehmern – Zeitraum von An- und Abreise festzuhalten sind. Eine Pflicht zur digitalen Erfassung gibt es dabei nicht, so § 2a Abs. 3 S. 4 Corona-VO NRW.
Da die App gerade eine pseudonyme Möglichkeit zur Kontaktnachverfolgung bietet und hohe Datenschutzstandards aufweist, ist die Nutzung der App als positiv zu bewerten. Im Gegensatz zu einer manuellen Nachverfolgung im Unternehmen („Haben Sie in den letzten 2 Wochen Kollegen*in X getroffen?“) oder einer selbstentwickelten App, die Bewegungsdaten anlegt („X war heute schon wieder 10-mal jeweils eine halbe Stunde beim Rauchen“), stellt die offizielle Corona-Warn-App eine datensparsame Alternative dar. In der Regel ordnet das Gesundheitsamt im Falle von positiv festgestellten Infektionen bestimmte Maßnahmen an, wie § 28 Abs. 1 InfSchG festlegt. Die App-Nutzung kann dazu dienen, verschärfte Maßnahmen zu verhindern und weniger in die Rechte der Mitarbeiter*innen einzugreifen, als es ansonsten der Fall wäre.
Allerdings ist zu berücksichtigen, dass eine solche Anweisung allenfalls für die Nutzung während der regulären Arbeitszeiten zulässig sein kann, was den Nutzen natürlich deutlich einschränkt. Dies gilt selbst dann, wenn eine private Nutzung des Diensthandys ausdrücklich durch den Arbeitgeber gestattet wurde. Denn der Privatbereich der Mitarbeiter*innen stellt eine grundsätzliche Tabuzone für den Arbeitgeber dar (die z.B. durch das Arbeitszeitschutzgesetz streng geregelt ist). Mitarbeiter können also nach Feierabend ihr Diensthandy ausschalten oder es nicht mit sich führen. Im Regelfall wird daher von den Mitarbeitern nicht verlangt werden können, die App auf dem Diensthandy auch nach Dienstschluss zu nutzen. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz ist allerdings denkbar, wenn der Mitarbeiter auch außerhalb der jeweiligen Arbeitszeiten erreichbar sein muss (z.B. bei einer Rufbereitschaft oder einem Bereitschaftsdienst). Es kann festgehalten werden, dass die Pflicht zur Installation der App auf dem Dienstsmartphone und der Nutzung während der Arbeitszeit als zulässig zu bewerten sein dürfte. Eine Nutzung außerhalb der Arbeitszeit kann aber nicht vorgeschrieben werden.
4. Keine Nutzungspflicht auf dem Privathandy
Da bereits die arbeitgeberseitige Anweisung zur Nutzung der Corona-Warn-App auf dem Diensthandy mit Unwägbarkeiten und allenfalls mit Einschränkungen (innerhalb der regulären Arbeitszeiten) zulässig sein kann, ist die Anweisung zur Nutzung der App auf dem Privathandy erst recht als unzulässig einzustufen. Dies würde u.a. die private Lebensführung sowie das Eigentumsrecht des betroffenen Mitarbeiters in erheblichem Umfang verletzen. Arbeitgeber können hier nur unverbindlich an die Mitarbeiter appellieren, die App zum Gesundheitsschutz der Allgemeinheit auf dem privaten Handygerät zu nutzen.
5. Mögliche Meldepflicht auf dem Diensthandy
Zudem ist die Nutzung der App von einer Pflicht zum Hochladen eines positiven Testergebnisses zu unterscheiden: letzteres stellt die Verarbeitung von Gesundheitsdaten dar, die einer speziellen Rechtsgrundlage nach Art. 9 Abs. 2 DSGVO bedürfen. Generell erlaubt § 26 Abs. 3 BDSG im Einzelfall die Verarbeitung von Gesundheitsdaten von Mitarbeiter*innen nach einer Interessenabwägung, „wenn sie zur Ausübung von Rechten oder zur Erfüllung rechtlicher Pflichten aus dem Arbeitsrecht, dem Recht der sozialen Sicherheit und des Sozialschutzes erforderlich ist und kein Grund zu der Annahme besteht, dass das schutzwürdige Interesse der betroffenen Person an dem Ausschluss der Verarbeitung überwiegt“. Generell ist es dem Arbeitgeber erlaubt, die Mitarbeiter*innen zu befragen, ob eine Infektion positiv festgestellt wurde, um Schaden von den Kollegen*innen abzuwenden (so z.B. Der Hamburgische Beauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit, FAQ Datenschutz in Zeiten von Covid-19; demgegenüber sieht das BayLDA eine verpflichtende Nutzung generell als unzulässig an).
Damit kann trotz der möglichen gravierenden Folgen bei einem positiven Test und der breiten Weiterverarbeitung sogar eine solche Pflicht zum Hochladen positiver Ergebnisse grundsätzlich bestehen. Denn die Meldung einer Infektion schützt alle Kollegen*innen und die Meldung über die App bietet den großen Vorteil, dass die infizierte Person nicht direkt bekannt wird. Wenn es zulässig ist, manuell abzufragen, wer positiv getestet wurde und dann alle Kontaktpersonen zu informieren und so die Person direkt zu offenbaren, dann muss es erst recht zulässig sein, nur ein Pseudonym über die App, die einen erhöhten Schutzstandard aufweist und die Privatsphäre besser schützt, zu melden. Das muss erst recht in Berufen mit nahem Kundenkontakt mit besonderen Risikogruppen gelten (z.B. Pflege- und Krankenhauspersonal).
6. Zusammenfassung zu einem möglichen Nutzungszwang der Corona-Warn-App
Die Verpflichtung der Mitarbeiter zur Nutzung der Corona-Warn-App könnte allenfalls in engem Rahmen zulässig sein, wenn
• die Installation und Nutzung der App ausschließlich auf dem Diensthandy erfolgt und
• die Nutzung nur während der Arbeitszeiten angeordnet wird.
Wenn diese Voraussetzungen eingehalten sind, dürfte auch das Hochladen eines positiven Testerergebnisses als Pflicht zulässig sein, da dank der Pseudonymität die Rechte der Mitarbeiter*innen besser gewahrt werden können.
Ferner sind bei einer verpflichtenden Nutzung der App die Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats zu beachten. Tangiert sind Fragen des Verhaltens der Arbeitnehmer sowie der Ordnung des Betriebs oder der technischen Überwachung, was zu einer Abstimmung mit einer generellen oder besonderen Betriebsvereinbarung führen kann.
Betrachtet man zusammenfassend die tatsächlichen und rechtlichen Hürden, die mit der Anordnung einer Corona-App-Nutzung einhergehen, ist im Ergebnis eine Weisung mit Vorsicht zu genießen. Zwar kann im Einzelfall die Interessenabwägung zugunsten des Arbeitgebers ausfallen. Doch der daraus resultierende Nutzen hält sich in Grenzen. Denn die verpflichtende Nutzung der App kann allenfalls während der regulären Arbeitszeit angewiesen werden. Wird die App außerhalb der Arbeitszeiten nicht genutzt, ist dem Ziel der Verbesserung des Gesundheitsschutzes nur bedingt gedient. Zudem ist von einem hohen Widerstand der Mitarbeiter*innen auszugehen (und die Rechtslage ist umstritten), so dass im Sinne des Betriebsfriedens eine Freiwilligkeit vorgezogen werden sollte.
7. Handlungsvorschlag: Aussprechen von Empfehlungen
Eine sinnvolle Ergänzung oder Alternative zur verpflichtenden Anweisung zur Nutzung der App kann die Implementierung betriebsinterner Regelungen und/oder Nutzungsempfehlungen durch den Arbeitgeber darstellen (ggf. in Abstimmung mit dem Betriebsrat). Statt einem Zwang, dessen Zulässigkeit rechtlich hoch umstritten ist und der in der derzeitigen Situation einer breiten gesellschaftlichen Diskussion zu Unmut in der Belegschaft führen könnte, sollten nur Empfehlungen ausgesprochen werden.
Dazu bieten sich unter anderem folgende Punkte an:
• Hinweis auf die freiwillige Nutzung der App
• ggf. Hinweis, dass eine Nutzung von Seiten des Arbeitgebers und des Betriebsrats mit Blick auf den Gesundheitsschutz begrüßt würde
• Benennung eines Ansprechpartners für Covid-19-Fälle auf Arbeitgeberseite
• Hinweis auf die Verpflichtung, den Arbeitsplatz bei Feststellung typischer Krankheitssymptome der Covid-19-Grippe zu meiden.